Ein Mitglied einer Genossenschaft begehrte Einsicht in das sogenannte Mitgliederregister. Das Mitgliederregister ist ein von der Genossenschaft selbst zu führendes Register und sieht bestimmte Angaben vor, wobei jedermann Einsicht in das Mitgliederregister gewährt werden muss (§ 14 Abs 2 GenG).
Das Mitgliederregister beinhaltete aber nicht die Adressen der Mitglieder, weil § 14 GenG die Mitgliederadresse nicht als zwingende Angabe im Mitgliederregister nennt. Auch wenn die Genossenschaft die Adressdaten bei ihren Genossenschaftern erhebt, kann nach zutreffender Ansicht der rezenten OGH-Entscheidung im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre der Genossenschafter grundsätzlich keine Verpflichtung zur Eintragung dieses Umstands in das öffentlich einsehbare Mitgliederregister abgeleitet werden.
Das Mitglied begehrte daher neben der Einsichtnahme nach § 14 GenG auch die Einsicht in die Adressen anderer Mitglieder. Es wollte Minderheitenrechte geltend machen, was aber die Kontaktaufnahme mit anderen Genossenschaftsmitgliedern erfordert.
Strittig war, ob die Genossenschaft unter Verweis auf den Datenschutz die Einsichtnahme in die Adressen verweigern durfte.
Der OGH befasste sich begrüßenswert ausführlich mit den gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und der datenschutzrechtlichen Rechtfertigung der Herausgabe der Adressdaten. Im Ergebnis bejahte der OGH zutreffend die Pflicht der Genossenschaft, die Einsichtnahme in die Adressdaten zu gestatten:
- Ein Genossenschafter ist zunächst unbestritten Vertragspartei des Genossenschaftsvertrags. Dieser Umstand weist schon auf eine datenschutzrechtliche Rechtfertigung nach Art 6 Abs 1 lit b DSGVO („Vertragserfüllung“). Der OGH konkretisierte die (Vertragserfüllungs-)Pflichten der Genossenschaft, indem er aus den Bestimmungen der § 1194 Abs 1 S 2 i.V.m. § 1175 Abs 4 ABGB ein grundsätzliches Einsichtsrecht des Genossenschafters ableitete und auf eine korrespondierende Pflicht der Genossenschaft schloss.
- Zusätzlich stellte der OGH eine (Neben-)Pflicht der Genossenschaft fest, die effektive Ausübung der Minderheitenrechte des Genossenschafters zu gewährleisten, die gefährdet wäre, wenn dem Genossenschafter die übrigen Genossenschafter und ihre Erreichbarkeit unbekannt wären. Dabei handelt es sich mE um eine Ausprägung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht (vgl. dazu Milchrahm/Rauter, Die Treuepflicht der Gesellschafter, JAP 2015/2016/24, 229ff).
- Zutreffend folgerte der OGH, dass dann die Einsicht in Adressdaten übriger Genossenschafter jedenfalls für die Erfüllung bzw. Abwicklung des Genossenschaftsvertrags notwendig sei, womit die Einsichtnahme in die Adressdaten nach Art 6 Abs 1 lit b DSGVO gerechtfertigt ist.
- Nach richtiger Ansicht des OGH ist für die Rechtfertigung nach Art 6 Abs 1 lit b DSGVO auch keine dreigliedrige Interessenabwägung (Vorliegen eines berechtigten Interesses, Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses und kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person), wie es Art 6 Abs 1 lit f DSGVO erfordert, notwendig. Die generelle Interessenabwägung nach § 1 Abs 2 DSG tritt aufgrund des Anwendungsvorrangs von Unionsrecht zurück, obwohl es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt (vgl. EuGH 17. 12. 1970, 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Rz 3).
- Den übrigen Genossenschaftsmitgliedern war im Verfahren zur Einsichtsgewährung keine (verfahrens-)rechtliche Parteistellung einzuräumen. Im Verfahren zur Einsichtsgewährung werden (auch) die Interessen der übrigen Genossenschaftsmitglieder durch die Genossenschaft wahrgenommen.
Einige Hinweise für die Praxis:
Der OGH führt auch an, dass, sofern die Kontaktdaten im Mitgliederregister (freiwillig) aufgenommen sind, diese vom genuinen Einsichtsrecht nach § 14 GenG erfasst sind. Allerdings lässt die OGH-Entscheidung nicht den zwingenden Schluss zu, dass die freiwillige Aufnahme in das Mitgliederregister datenschutzrechtlich gerechtfertigt ist. Dies wäre m.E. vor dem Gesichtspunkt, dass das Mitgliederregister öffentlich ist, gesondert zu prüfen.
Genossenschaften sollten in der Praxis prüfen, ob gegebenenfalls Adaptionsbedarf in ihren Genossenschaftsverträgen besteht. Die Entscheidung könnte tendenziell auch zu einer größeren Beteiligung der Mitglieder an Generalversammlungen sowie zur häufigeren Geltendmachung von Minderheitenrechten führen, wenn Mitglieder sich nun leichter untereinander informieren bzw. abstimmen können. Dies wird vor allem für gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften mit großer Mitgliederanzahl bedeutsam sein.
Die Herausgabe von Adressdaten ist thematisch nicht auf das Genossen- bzw. Gesellschaftsrecht geschränkt, sondern ebenfalls bei Wohnungseigentumsanlagen relevant: Auch dort hatte der OGH die Pflicht zur Herausgabe von Adressdaten innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft zur Geltendmachung von Rechten ausdrücklich bejaht (OGH 5 Ob 175/08h;5 Ob 238/12d). Allerdings normiert § 20 Abs 8 WEG idF BGBl. I Nr. 222/2021 seit 1.1.2022 eine Auskunftspflicht des Verwalters über die Zustelladressen und u.U. auch über E-Mail-Adressen (dazu im Detail Punt, Neues zu Verwalterpflichten, Gemeinschaftsdarlehen und Adressherausgabe, immolex 2022/5, 18ff).