Eine vor einigen Wochen veröffentlichte oberstgerichtliche Entscheidung (OGH vom 21. Dezember 2022, 6 Ob 136/22a) hat nicht nur unter Baujuristen, sondern in der gesamten Bauwirtschaft erheblichen Staub aufgewirbelt.
Die Entscheidung wurde bei dem am 31. März 2023 stattgefundenen, vom Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der TU Graz veranstalteten 21. Grazer Baubetriebs- und Bauwirtschaftssymposium ausführlich besprochen und hinsichtlich seiner Auswirkungen für die Praxis kontroversiell diskutiert. Auch in der Märzausgabe 2023 der bau aktuell, Fachzeitschrift für Baurecht, Baubetriebswirtschaft, Baumanagement, wurde diese Entscheidung detailliert dargestellt und kritisch gewürdigt. Weitere Fachbeiträge, die sich mit den Konsequenzen des Judikats beschäftigen werden, sind bereits angekündigt.
Aber warum all diese Aufregung? Was ist wirklich neu?
Diese OGH-Entscheidung behandelt zwar vordergründig die Frage, ob ein Bauunternehmen berechtigt ist, zusätzliche Kosten aufgrund von Restriktionen infolge der Covid-19-Pandemie geltend zu machen. Viel bedeutender ist aber, dass die Entscheidung grundlegende Aussagen über die (sehr strengen!) Voraussetzungen für die (erfolgreiche) Geltendmachung von Mehrkostenforderungen infolge Behinderung der Auftragnehmerin bei der Leistungserbringung enthält.
Die Entscheidung ist daher losgelöst von der Covid-19-Pandemie verallgemeinerungsfähig und somit vor allem für Auftragnehmer höchst beachtenswert.
Zum Sachverhalt
Die Klägerin war Ende Jänner 2020 mit Bauarbeiten an einer Brücke beauftragt worden. Aufgrund der pandemiebedingten Restriktionen bei der Bautätigkeit (Maskenpflicht, Mindestabstände, Desinfektionsmittel, Unterbringung der Arbeiter) meldete sie noch im März 2020 Mehrkosten dem Grunde nach an und gab deren Höhe im Mai 2020 der Auftraggeberin betragsmäßig bekannt. Im Prozess legte die Auftragnehmerin zur Begründung der eingeklagten Mehrkosten ein von einem Sachverständigen für die Landesinnung Bau erstelltes Gutachten über die Einschränkung der Arbeitsproduktivität resultierend aus den pandemiebedingten Restriktionen auf der Baustelle vor und begründete damit einen prozentuellen Zuschlag zu dem in der ursprünglichen Kalkulation enthaltenen Lohnanteil.
Die Streitteile hatten im Werkvertrag die Anwendbarkeit der ÖNORM B2110 vereinbart. Dort werden in Punkt 7.2.1 Ereignisse, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind, der Risikosphäre des Auftraggebers zugeordnet. Es waren daher die Folgen der Pandemie grundsätzlich der Sphäre des Auftraggebers zuzurechnen. Davon waren übrigens auch die Streitparteien ausgegangen.
Das reichte freilich nicht aus, um der Mehrkostenforderung der Baufirma zum Durchbruch zu verhelfen. Deren Klage wurde vielmehr – ohne Durchführung eines Beweisverfahrens und ohne Feststellung eines bestimmten Sachverhalts – aus rechtlichen Gründen als unschlüssig abgewiesen.
Der Auftragnehmerin wurde zum Verhängnis, dass in der Klage nur abstrakte Berechnungen zu den behaupteten Mehrkostenforderungen vorgenommen wurden. Es wäre aber notwendig gewesen, detailliert zu behaupten und auch zu beweisen, welche Mehrstunden, Stehzeiten, höhere Einkaufspreise sowie Änderungen in der Zusammensetzung des Personals und des sonstigen Ressourceneinsatzes konkret entstanden sind.
Auf die Dokumentation kommt es an
Abgesehen davon, dass die Mehrkostenforderung der Auftragnehmerin durch eine in die Risikosphäre der Auftraggeberin fallende Leistungsstörung verursacht sein muss, stellt der OGH fest, dass ein anhand einer in einem Sachverständigengutachten vorgenommenen abstrakten Kalkulation berechneter Zuschlag nicht ausreicht, um eine Mehrkostenforderung zu begründen.
Die Mehrkosten müssen vielmehr konkret und detailliert aufgelistet werden. So wäre es im konkreten Fall etwa notwendig gewesen, genau anzugeben, wie viele Arbeiter wie viele Tage (zusätzlich) tätig waren, wie viele FFP2-Masken verbraucht wurden, in wie viel Nächten statt Zweibettzimmern Einbettzimmern für das Personal angemietet werden mussten etc.
Rein abstrakte Berechnungen, beruhend auf einem bauwirtschaftlichen Gutachten, reichen nicht aus.
Auch wenn der Streit über die Reichweite dieser OGH-Entscheidung schon entbrannt ist: die genaue und (auch nach Jahren noch) gut nachvollziehbare Dokumentation der durch (der Auftraggeberin zurechenbaren) Leistungsstörungen verursachten Mehrkosten ist der Schlüssel für die erfolgreiche Durchsetzung von Mehrkostenforderungen.
Konsequenzen für die Praxis
Selbst wenn der Zeitaufwand für die Dokumentation in der Hitze des Baugeschehens oftmals als belastend und unproduktiv empfunden wird, sollte künftig jede Auftragnehmerin dieser im Falle der Anmeldung einer Mehrkostenforderung noch stärker als bisher nachkommen.
Dann und nur dann besteht eine realistische Chance auf erfolgreiche gerichtliche Durchsetzung.