Gewährleistungsrecht - Irrtumsrecht

Gemeinsamer Irrtum bei Vertragsabschluss: Abwehr des Preisminderungsanspruches möglich? – OGH vom 26. Juni 2024, 9 Ob 67/23b

Nach der (von der Lehre kritisierten) Rechtsprechung berechtigt ein gemeinsamer Irrtum über wesentliche Eigenschaften des Vertragsgegenstandes beide Vertragsteile den Vertrag anzufechten und derart dessen Aufhebung zu verlangen.

Ein gemeinsamer Irrtum der Vertragsparteien, zB von Käufer und Verkäuferin begründet gleichzeitig sehr oft auch einen Gewährleistungsanspruch des Käufers, nämlich dann, wenn der Kaufgegenstand nicht die vertraglich geschuldeten Eigenschaften hat. Der Käufer kann dann von der Verkäuferin primär die Herstellung des vertraglich geschuldeten Zustandes durch Verbesserung oder Austausch verlangen (§932 Abs 2 ABGB). Wenn die Verkäuferin die Verbesserung verweigert, hat der Käufer, wenn es sich nicht um einen geringfügigen Mangel handelt, das Wahlrecht zwischen Preisminderung und Vertragsauflösung (§932 Abs 4 ABGB).Entscheidet sich nun der Käufer dafür, die Anpassung des Vertrages durch Preisminderung zu verlangen, stellt sich immer dann, wenn beide Vertragsteile über das Vorhandensein einer bestimmten wesentlichen Eigenschaft des Kaufgegenstandes geirrt haben, die Frage, ob die Verkäuferin dieses Wahlrecht des Käufers zwischen Preisminderung und Vertragsauflösung dadurch konterkarieren kann, indem sie wegen des gemeinsamen Irrtums den Kaufvertrag anficht und dessen rückwirkende Aufhebung verlangt. Der Käufer müsste dann gegen seinen ursprünglich erklärten Willen (Vertragsanpassung durch Preisminderung) den Kaufgegenstand Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises an die Verkäuferin zurückstellen.

Exakt eine derartige Sachverhaltskonstellation hatte der Oberste Gerichtshof (OGH) im gegenständlichen Fall zu entscheiden. Der Kläger hatte von der beklagten Gebrauchtwagenhändlerin ein Fahrzeug der Marke Audi R8 zu einem Kaufpreis von EUR 46.500,00 erstanden. Der Gebrauchtwagen wurde im schriftlichen Kaufvertrag für sämtliche Kategorien (mechanischer Zustand, Karosserie, Lack, Innenraum/Sonstiges und elektrische und elektronische Ausstattung) der Klasse 3 – dies entspricht „genügend fahrbereit“ – zugeordnet. Im Kaufvertrag wurde ausdrücklich festgehalten, dass das Getriebe „sporadisch auf Neutral“ geht, das Fahrzeug aber betriebs- und zulassungsfähig ist. Bei Vertragsabschluss war weder dem Käufer noch der Verkäuferin bekannt, dass das Fahrzeug bereits zum damaligen Zeitpunkt aufgrund des Getriebemangels weder verkehrs- noch betriebssicher war und es – etwa bei Überholvorgängen – zu schweren Unfällen kommen konnte.Nachdem der Käufer die Gebrauchtwagenhändlerin vergeblich zur Reparatur des Fahrzeugs aufgefordert hatte, begehrte der Käufer vor Gericht Preisminderung in Höhe der Reparaturkosten (EUR 17.355,00) aus dem Titel der Gewährleistung und des Schadenersatzes. Die beklagte Gebrauchtwagenhändlerin beantragte Klagsabweisung und bot dem Kläger an, den Kaufvertrag aufgrund des gemeinsamen Irrtums über die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeuges rückwirkend aufzuheben und das Fahrzeug Zug um Zug gegen Rückerstattung des Kaufpreises zurückzunehmen.

Während das Erstgericht aufgrund dieses vom Kläger, der an seinen Preisminderungsbegehren festhielt, abgelehnten Angebotes die Klage abwies, kamen das Berufungsgericht und in weiterer Folge auch das Höchstgericht zum Ergebnis, dass bei Vorliegen eines Sachmangels (in concreto Getriebeschaden) ein gemeinsamer Irrtum der Vertragsteile die Verkäuferin nicht dazu berechtigt, das Wahlrecht des Käufers (Preisminderung oder Vertragsauflösung) zu konterkarieren. Dies würde ansonsten zu dem systemwidrigen Ergebnis führen, dass die gewährleistungspflichtige – da nicht vertragskonform erfüllende – Verkäuferin entscheiden könnte, ob sie Preisminderung gewährt oder den Vertrag auflöst.Nach der – auch europarechtlich determinierten – Rechtslage soll dieses Wahlrecht gerade dem Käufer offenstehen. Nur er soll entscheiden, ob er den Kaufgegenstand unter gleichzeitiger Vertragsanpassung im Wege der Preisminderung behält oder den Kaufgegenstand an die gewährleistungspflichtige Verkäuferin Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückstellt.

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