In der Praxis kommt es gar nicht so selten vor, dass Klagen (zB ein Mietverhältnis betreffend) dem Mieter zunächst nicht zugestellt werden können. So auch im Sachverhalt eines jüngst vom OGH entschiedenen Falles (30. 6. 2022, 4 Ob 85/22m):
Eine Vermieterin brachte eine Mietzins- und Räumungsklage gegen eine GmbH (Mieterin) ein. Nachdem ein vorbereitender Schriftsatz weder am Sitz der Gesellschaft noch unter der im Firmenbuch eingetragenen Adresse des Alleingesellschafter-Geschäftsführers zugestellt werden konnte, beantragte die Vermieterin beim Prozessgericht die „Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 116 ZPO“. Das Prozessgericht leitete den Antrag an das zuständige Pflegschaftsgericht am Sitz der GmbH weiter. Das Erstgericht deutete den Antrag als solchen auf Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 277 ABGB, wies den Antrag aber ab. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung (wenngleich mit anderer Begründung).
Die relevante Frage war lange höchstgerichtlich ungeklärt: Kann bei der GmbH alternativ zur Notgeschäftsführerbestellung (§ 15a GmbHG) die Bestellung eines Abwesenheitskurators erfolgen? Die rezente OGH-Entscheidung behandelt und entscheidet diese Frage.
Die OGH-Entscheidung beschäftigt sich primär mit dem Notgeschäftsführer (§ 15a GmbHG) einerseits und dem Abwesenheitskurator (§ 277 Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 ABGB) andererseits. Nicht gegenständlich war letztlich der Prozesskurator (§ 116 ZPO), obwohl die Antragstellerin auf § 116 ZPO Bezug genommen hatte. Der OGH hält fest: „Der Wirkungsbereich eines Kurators nach § 116 ZPO beschränkt sich auf die Vertretung der prozessunfähigen Partei in jenem Verfahren, für das er bestellt wurde.“ Dies war im konkreten Fall nicht ausreichend, weshalb die Gerichte den Antrag als solchen auf Bestellung eines Abwesenheitskurators gem § 277 ABGB deuteten.
Der OGH setzte sich mit den unterschiedlichen Meinungen in der Literatur auseinander und kam zu folgendem Ergebnis (Hervorhebungen hinzugefügt):
„§ 277 ABGB regelt – wie übrigens auch alle seine Vorgängerbestimmungen – den Fall, dass eine Person abwesend ist. Eine Regelung für die Abwesenheit von Organen juristischer Personen enthalten sie nicht. Ihre Anwendung erfolgte daher immer nur analog … Die analoge Anwendung einer Norm setzt jedoch eine planwidrige Regelungslücke voraus. Das heißt also, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf … Eine solche Lücke liegt hier jedoch schon nach den Behauptungen der Antragstellerin im Abwesenheitspflegschaftsverfahren nicht vor. Sie macht geltend, dass sie durch die Zustellprobleme im Bestandverfahren an der Vertragsbeendigung gehindert sei. Dieser Schwierigkeit kann aber durch Anwendung der eigens (auch) dafür geschaffenen Norm des § 15a GmbHG begegnet werden. Das Rechtsinstitut des Notgeschäftsführers soll ja gerade auch dann Abhilfe schaffen, wenn die Organe einer GmbH faktisch verhindert (zB abwesend) sind und dadurch Gesellschaftsgläubiger an der Wahrung ihrer Rechte gehindert werden.
In Fällen, in denen § 15a GmbHG zur Anwendung kommt und durch Bestellung eines Notgeschäftsführers den Rechten eines Gesellschaftsgläubigers (hier: auf Vertragsbeendigung) zum Durchbruch verschafft werden kann, scheidet deshalb die analoge Anwendung des § 277 Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 ABGB und damit die Bestellung eines Abwesenheitskurators aus.“
Ein gewichtiger Teil der Literatur war demgegenüber von einer Konkurrenz zwischen den beiden Gesetzesbestimmungen ausgegangen, was zu einem Wahlrecht des Antragstellers geführt hätte. Die nunmehrige OGH-Entscheidung ist daher von großer praktischer Relevanz. Sie darf im Interesse einer raschen Anspruchsdurchsetzung nicht übersehen werden.