Gemäß Art. 15 Abs 3 in Verbindung mit Art. 12 Abs 5 der – auf europarechtlicher Ebene geschaffenen und in Österreich unmittelbar wirksamen – Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist jeder betroffenen Person eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, kostenlos zur Verfügung zu stellen. Daraus ist abzuleiten, dass jeder Patient das Recht auf eine kostenlose Erstkopie seiner Krankengeschichte hat.Demgegenüber sieht jedoch das Wiener Krankenanstaltengesetz (§17a Abs 2 lit g) vor, dass der Patient/die Patientin auch für die Herstellung der Erstkopie seiner/ihrer Krankengeschichte einen Kostenersatz zu leisten hat.
Da Art 23 DSGVO unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Beschränkung der Auskunftsrechte einer von der Verarbeitung personenbezogener Daten betroffenen Person zulässt und als Beispiel in Art 23 Abs 1 lit e DSGVO der Schutz eines wichtigen wirtschaftlichen oder finanziellen Interesses eines Mitgliedstaats etwa im Bereich der öffentlichen Gesundheit anführt, stellt sich die Frage, ob die im Wiener Krankenanstaltengesetz vorgesehene Kostenersatzpflicht für die Bereitstellung einer Kopie der Krankengeschichte gerechtfertigt ist oder durch das in der DSGVO enthaltene Auskunftsrecht auf eine kostenlose Erstkopie der Krankengeschichte verdrängt wird.
Ein Arbeitsunfall, der sich bereits im Mai 2019 ereignete und einen stationären Aufenthalt des Klägers im Wiener SMZ-Ost-Donauspital im Zeitraum 17. Mai bis 19. Mai 2019 zur Folge hatte, war ausschlaggebend dafür, dass der Oberste Gerichtshof (OGH) mehr als 5 Jahre später die vorstehend aufgeworfene Frage abschließend beantwortete. Der Rechtsvertreter des Klägers hatte unter Bezugnahme auf die DSGVO die kostenlose Übermittlung der gesamten Krankengeschichte verlangt, was jedoch von der Stadt Wien als Spitalsträger unter Hinweis auf die gesetzlich angeordnete Kostenersatzpflicht verweigert wurde.Die lange Verfahrensdauer resultierte daraus, dass der OGH die divergierenden Urteile der Vorinstanzen – das Erstgericht hatte der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hatte die Klage abgewiesen – mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 aufgrund noch fehlender Sachverhaltsfeststellungen aufhob und außerdem im zweiten Rechtsgang das Verfahren vor dem OGH bis zum Vorliegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) mit ähnlich gelagertem Sachverhalt (in Deutschland hatte eine Patientin von ihrer Zahnärztin die kostenlose Herausgabe ihrer Krankengeschichte verlangt, um Schadenersatzansprüche gegen die behandelnde Zahnärztin geltend zu machen) vom Höchstgericht rund 2 Jahre unterbrochen wurde.
Das Höchstgericht kam letztlich in Übereinstimmung mit dem Erstgericht – das Berufungsgericht hatte auch im zweiten Rechtsgang die Klage abgewiesen – zum Ergebnis, dass die vorzunehmende Abwägung der Interessen der beklagten Stadt Wien und des klagenden Patienten zu Gunsten des Klägers auszufallen hat. Die Stadt Wien wurde dazu verpflichtet, dem Kläger kostenlos eine Kopie seiner Krankengeschichte über den stationären Krankenhausaufenthalt sowie allfälliger Nachbehandlungen und Kontrollen herauszugeben.
Im Rahmen der Urteilsbegründung betont der OGH, dass die in Art. 23 Abs 1 DSGVO an und für sich vorgesehenen Einschränkungen der Auskunftsrechte einer von der Verarbeitung gesundheitsbezogener Daten betroffenen Person Ausnahmecharakter haben und daher restriktiv auszulegen sind. Weiters wurde auf die Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) verwiesen, wonach die Kosten, die durch die Zurverfügungstellung von Information entstehen, somit die finanzielle Belastung öffentlicher Haushalte, nicht ausreichen, um ein öffentliches Interesse an der Einschränkung der Betroffenenrechte zu rechtfertigen (Rz 49).
Ausschlaggebend war für das Höchstgericht schließlich auch der Umstand, dass der durch Anfragen entstehende Anteil an den Verwaltungskosten gering sei und den Interessen des Spitalsträgers an der weiteren Einhebung der Kostenbeiträge im Vergleich zum Interesse der Patienten, auf ihre eigenen Behandlungsunterlagen Zugriff zu haben, nur geringes Gewicht zukomme. Die gegenständliche oberstgerichtliche Entscheidung hat nicht nur wegen der damit verbundenen Stärkung der Patientenrechte zweifellos große praktische Bedeutung.