Im vorliegenden Fall klagte der Bestandgeber auf Räumung des Bestandobjektes, weil der Bestandnehmer die Bestandzinszahlungen eingestellt hatte. Der Bestandnehmer wiederum löste den Bestandvertrag mit dem Argument auf, dass der vereinbarte Bestandzins den für dieses Objekt marktkonformen Zins um mehr als die Hälfte übersteigt („Verkürzung über die Hälfte“) und verweigerte die Rückstellung bis zur Rückzahlung Zug um Zug des bezahlten, überhöhten Bestandzinses.
Wenn auf Austausch von Leistungen gerichtete Verträge (zB Kaufvertrag) einseitig (zB durch Anfechtung wegen Irrtums oder durch gewährleistungsrechtliche Auflösung) beendet werden, erfolgt die Rückabwicklung der jeweils erbrachten Leistungen: Die Kaufsache wird gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückgegeben. So wie – mangels anders lautender Vereinbarung – Kaufpreis und -sache Zug um Zug auszutauschen sind, hat auch deren allfällige Rückabwicklung Zug um Zug zu erfolgen: Der eine Vertragsteil kann die Rückgabe der von ihm empfangenen Leistung so lange verweigern, bis auch der andere Vertragsteil bereit ist, die seinerseits empfangene Leistung zurückzugeben: allgemeines Zurückbehaltungsrecht.
Für Bestandverträge (Miete oder Pacht) gelten im Ausgangspunkt davon abweichende Regeln: Gemäß § 1109 ABGB kann der Bestandnehmer nach Beendigung des Bestandverhältnisses die Rückstellung des Bestandobjektes nicht mit dem Argument verzögern, auch der Bestandgeber schulde noch die Erbringung von Leistungen aus dem Bestandverhältnis, etwa Ersatz für die von dem Bestandnehmer auf das Bestandobjekt getätigten Aufwendungen. Hinsichtlich Bestandverträge gilt in Zusammenhang mit der Rückstellung des Bestandobjektes sohin von Gesetzes wegen ein Zurückbehaltungsverbot (bei ungerechtfertigter Verzögerung der Rückstellung schuldet der Bestandnehmer für den Verspätungszeitraum den angemessenen Bestandzins). Abweichende Vereinbarungen im Bestandvertrag sind – mit Ausnahme zwingenden Rechts – zulässig.
Das Vertragsrecht basiert auf dem Selbstbestimmungsrecht der Vertragsparteien: Diese können Verträge – innerhalb der allgemeinen Grenzen wie etwa Sittenwidrigkeit – ihrem freien Willen folgend abschließen, wobei ein solcher Vertragsschluss in der Regel nur dann erfolgt, wenn für die konkreten Vertragsparteien die Leistung und Gegenleistung (zB Wert der Überlassung des Bestandobjektes gemessen am marktkonformen Zins einerseits und konkret vereinbarter Bestandzins andererseits) in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (sogenannte subjektive Äquivalenz). Aus dieser subjektiven Äquivalenz folgt eine hohe „Richtigkeitsgewähr“ für geschlossene Verträge, weshalb die konkreten Vertragsparteien – jedenfalls im Ausgangspunkt – an geschlossene Verträge gebunden sind; auch wenn bspw der Bestandzins für ein konkretes Bestandobjekt aus objektiver Sicht ein wenig zu hoch oder zu niedrig ist, ist der Bestandvertrag aufrecht und zu erfüllen. Sollte allerdings zwischen der Leistung und der Gegenleistung aus objektiver Sicht ein Wertmissverhältnis von über 50 % bestehen, das Wertverhältnis also objektiv nicht äquivalent sein, kann der Vertrag gemäß § 934 ABGB wegen „Verkürzung über die Hälfte“ angefochten werden.
Hinweise für die Praxis:
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anfechtung wegen „Verkürzung über die Hälfte“ auch auf Bestandverträge anwendbar. Diese Anfechtung wirkt dabei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück, weshalb so vorzugehen ist, als wäre der Bestandvertrag gar nicht geschlossen worden. Weil aber die Anwendung von § 1109 ABGB (Zurückbehaltungsverbot zulasten des Bestandnehmers bei der Rückstellung des Bestandobjektes) voraussetzt, dass überhaupt ein Bestandvertrag vorlag, ist im Falle der rückwirkenden Vernichtung des Bestandvertrages wegen „Verkürzung über die Hälfe“ das bestandrechtliche Zurückbehaltungsverbot bei der Rückstellung des Bestandobjekts nicht anwendbar: Der Bestandnehmer muss in einer solchen Situation das Bestandobjekt nach allgemeinen Regeln lediglich Zug um Zug gegen Rückzahlung des bezahlten, überhöhten Bestandzinses zurückstellen (für die erfolgte Inbestandnahme des Bestandobjektes schuldet der Bestandnehmer bereicherungsrechtlich den angemessenen Bestandzins; Rechtsgrund hierfür ist das Gesetz, nicht der rückwirkend vernichtete Bestandvertrag).