Die Reaktionen in der rechtswissenschaftlichen Literatur auf wichtige OGH-Entscheidungen sind für die Praxis regelmäßig von großer Bedeutung, weil sie die mitunter diffizilen Judikate für den Praktiker leichter zugänglich machen. Zudem formieren sich unter Umständen Gegner einer höchstgerichtlichen Entscheidung durch solche knappen literarischen Stellungnahmen, um einer sich anbahnenden ständigen Rechtsprechungslinie entgegenzutreten. Bisweilen verdienen OGH-Entscheidungen auch schlicht deshalb eine Entscheidungsbesprechung („Glosse“), weil sie bedeutende Informationen für die Praxis enthalten, die vom Glossator mitunter auch weitergedacht werden. Regelmäßig weisen Entscheidungsbesprechungen auch auf allfällige Unschärfen in der Rechtsprechung hin. Deutungshoheit kommt Glossatoren freilich nicht zu; eine nicht unbedeutende Rolle bei der Wahrnehmung des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen spielen sie aber dennoch. Beinahe ist man an die Rolle des Kunstkritikers für die Kunst erinnert.
Wilhelm Milchrahm hat sich in der Zeitschrift „Der Gesellschafter“ (kurz: GesRZ) der Entscheidung des OGH vom 25. 11. 2020, 6 Ob 219/20d, gewidmet (GesRZ 2021, 159). Diese betraf ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot in einer OG. Gar nicht so selten werden Wettbewerbsverbote gesellschaftsvertraglich geregelt, obwohl sich hierzu gesetzliche Regelungen in den §§ 112, 113 UGB finden. Werden die vertraglichen Regelungen nicht mit der notwendigen Sorgfalt textiert, stellen sich Zweifelfragen. Im konkreten Fall ging es um die das Wettbewerbsverbot absichernde Konventionalstrafe, insbesondere um das Verhältnis der vertraglichen Regelungen zu § 113 UGB, der in Absatz 3 eine Verjährungsregel enthält.
Milchrahm beschäftigt sich unter anderem mit der Aussage des OGH, dass § 113 Absatz 3 UGB auf Konventionalstrafen nicht zur Anwendung gelangt, wobei es in concreto um einen bereits ausgeschiedenen Gesellschafter ging. Über den vom OGH entschiedenen Fall hinaus erkennt Milchrahm einen Differenzierungsbedarf: Konventionalstrafen können als Pauschalierung des Schadenersatzanspruchs gemäß § 113 UGB vereinbart werden, sodass in diesem Fall auch eine Anwendung des § 113 Absatz 3 UGB sachgerecht wäre. Zudem könne sich die Geltung des § 113 Absatz 3 UGB auch aus der vertraglichen Regelung ergeben. Die Vertragsauslegung spielt grundsätzlich eine entscheidende Rolle: Die Glosse ruft in Erinnerung, dass auch ein im Gesellschaftsvertrag wiederholter Gesetzestext auslegungsbedürftig ist; Milchrahm ortet bei den diesbezüglichen Äußerungen des OGH gewisse Unschärfen.
Näheres ist der Glosse zu entnehmen; noch mehr Details zu den §§ 112, 113 UGB finden sich in der umfangreichen Kommentierung von Milchrahm im Wiener Kommentar zum Unternehmensgesetzbuch (Verlag Manz). Eine minutiöse Auseinandersetzung mit der einschlägigen OGH-Entscheidung wird auch in der nächsten Aktualisierung der Kommentierung zu finden sein.