Am 18. Juli 2024 ist das lang erwartete österreichische Gesetz zur Umsetzung der europäischen Verbandsklagen-Richtlinie in Kraft getreten (BGBl I 2024/85; „Verbandsklage neu“), mit dem das in Österreich bestehende System von Verbandsklagen gleichsam erweitert worden ist.
Verbandsklagen gegen Unternehmen sind in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus gerückt (zB: unzulässige Abschalteinrichtung in PKW, Wertsicherungsklauseln in Verbrauchermietverträgen), sodass eine Auseinandersetzung mit diesem Thema aus unternehmerischer Sicht vielfach geboten ist.
Von Verbandsklage kann im Allgemeinen dann gesprochen werden, wenn als Prozesspartei eine Entität auftritt, die sich der Wahrung öffentlicher Interessen verschrieben hat („Verband“; zB: der Österreichische Gewerkschaftsbund, die Bundesarbeitskammer, die Wirtschaftskammer Österreich, der Verein für Konsumenteninformation oder der Schutzverband gegen den unlauteren Wettbewerb).
Die Rechtfertigung dafür, dass man sich in bestimmten Bereichen der Rechtsdurchsetzung Verbänden bedient, ist in dem „rationalen Desinteresse“ der von einer bestimmten inkriminierten Handlung Betroffenen zu sehen: Betroffene Personen scheuen wegen des mit einem Gerichtsprozess verbundenen Aufwandes und des Kostenrisikos oftmals vor der Durchsetzung ihrer Rechte zurück, was gerade bei massenhaft gleichen Rechtsverstößen zum Tragen kommt. Dadurch, dass man anstelle der einzelnen betroffenen Person einen Verband als Kläger einsetzt, soll dieses faktische Rechtsschutzdefizit ausgeglichen werden.
Dabei können zwei Verbandsklagetypen unterschieden werden: Einerseits Verbandsklagen, bei denen einem Verband ursprünglich fremde Rechte abgetreten werden, über die der Verband dann im eigenen Namen prozessiert („Sammelklage“; als anschauliches Bsp können die Sammelklagen iZm unzulässigen Abschalteinrichtungen bei PKW genannt werden). Rechtstechnisch handelt es sich hierbei um eine „gewöhnliche“ Abtretung, sodass etwa die Frage, ob die jeweilige Forderung entgeltlich abgetreten wird und ggf zu welchem Forderungskaufpreis dies erfolgt, der Einigung der Vertragsparteien unterliegt.
Andererseits kennt die österreichische Rechtsordnung Verbandsklagen, die dadurch charakterisiert sind, dass der Verband von vornherein ein eigenes Recht (es ist gerade keine Abtretung notwendig) geltend macht. Hier sind etwa die Verbandsklage wegen unzulässiger Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 28 ff KSchG) oder wegen unlauterer Wettbewerbshandlungen (§ 14 UWG) zu nennen. Als anschauliches Bsp können die aktuell viel Aufsehen erregenden Verbandsklagen iZm unzulässigen Wertsicherungsklauseln in Verbrauchermietverträgen angeführt werden. Die Besonderheit einer solchen Verbandsklage besteht darin, dass der Verband eigene Rechte geltend macht, obwohl er – und das ist für den unternehmerischen Rechtsverkehr und das Verständnis von zentraler Bedeutung – von der inkriminierten Handlung faktisch in gar keiner Weise betroffen ist: Er kann bspw die Unterlassung der Verwendung einer unzulässigen Wertsicherungsklausel erwirken, obwohl er selbst gar keinen Verbrauchermietvertrag, der die inkriminierte Wertsicherungsklausel enthält, abgeschlossen hat. Aus rechtstechnischer Sicht ist hier von einem von Gesetzes wegen eingeräumten Anspruch auf Unterlassung solcher Klauseln auszugehen.
Diese beiden Verbandsklagetypen sind nicht zwingend auf Verbraucherverträge begrenzt, das heißt, sie finden mitunter auch B2B Anwendung.
Mit der nun neu eingeführten Verbandsklage werden teilweise neue Pfade beschritten. Eine solche Klage setzt die Beeinträchtigung von Kollektivinteressen von Verbrauchern voraus, sodass sie sich ausschließlich gegen Verhaltensweisen B2C richtet. Im Unterschied zur „Sammelklage“ macht ein Verband nach aktueller Ansicht in der Literatur ein eigenes Recht geltend. Von der zweiten oben erwähnten Verbandsklageform grenzt sie sich dadurch ab, dass die neue Verbandsklage primär nicht auf die Unterlassung eines inkriminierten Verhaltens (bzw allenfalls auf dessen Beseitigung) gerichtet sein muss, sondern kann sie unter bestimmten Voraussetzungen auch die „Abhilfe“ (zB Geldzahlung) zugunsten der betroffenen Verbraucher zum Ziel haben.
Geregelt ist die neue Verbandsklage in dem nunmehr eingeführten Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetz (QEG) sowie in den §§ 619 ff ZPO.
Was es mit dieser neuen Verbandsklageform auf sich hat und welche weiteren Spezialitäten sie mit sich bringt, erfahren Sie in unserer mehrteiligen Beitragsreihe „Die neue Verbandsklage“.