Versicherungsvertragsrecht, Vertragsrecht

Nachfragen schadet nicht und ist manchmal auch geboten! – OGH vom 28.09.22, 7 Ob 128/22g

Der Abschluss eines Vertrages setzt übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für das Vorliegen und den Inhalt einer rechtserheblichen Willenserklärung ist ausschlaggebend, was bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen ist. Rechtlich kommt es sohin auf den objektiven Erklärungswert und nicht auf den subjektiven Willen des Erklärenden aber auch nicht auf das tatsächliche Verständnis des Erklärungsempfängers an. Das gilt nicht nur bei Abschluss eines Vertrages, sondern auch bei dessen Auflösung.

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin mit der beklagten Partei sowohl einen Krankenversicherungsvertrag als auch einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen. In der Krankenversicherung war der Ehemann mitversichert. Der Ehegatte wiederum hatte bei der beklagten Partei einen Unfallversicherungs-, einen Kfz-Haftpflichtversicherungs- und einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen. In der Unfallversicherung des Ehegatten war wiederum die Klägerin mitversichert. Nach einem Wechsel in der Person des Versicherungsmaklers beschlossen die Klägerin und ihr Ehegatte sämtliche ihrer Versicherungsverträge bei der beklagten Partei mit Ausnahme des Krankenversicherungsvertrages zu kündigen.

Für die Durchführung der Kündigungen wurde der Versicherungsmakler beauftragt, der hierzu Kündigungskarten ausstellte, welche die Klägerin unterfertigte. Der Versicherungsmakler nahm dabei irrtümlich an, dass die Klägerin bei der beklagten Partei neben der Lebensversicherung auch eine Unfallversicherung hat, bei welcher ihr Ehegatte mitversichert war. Tatsächlich lief die Unfallversicherung auf Namen des Ehegatten der Klägerin, welche aber mitversichert war. Bei der Krankenversicherung war es eben genau umgekehrt. Betreffend die Klägerin wurden zwei Kündigungskarten an die beklagte Partei gesandt. Eine betraf richtigerweise die Lebensversicherung, die zweite allem Anschein nach eine auf Namen der Klägerin abgeschlossene Unfallversicherung. Eine solche gab es auf den Namen der Klägerin lautend aber gar nicht. Eine Mitarbeiterin der beklagten Partei nahm den Kündigungsschein betreffend die Lebensversicherung und eine vermeintlich existierende „Unfallversicherung“ entgegen und ging davon aus, dass die Krankenversicherung gekündigt werden sollte.

Hier gilt es im Besonderen festzuhalten, dass der Grundsatz von Treu und Glauben das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße beherrscht. Dieser Grundsatz gilt wechselseitig, so soll die starke Betonung von Treu und Glauben der Tatsache Rechnung tragen, dass jeder der beiden Vertragspartner auf die Unterstützung durch den jeweils anderen angewiesen ist, weil er oder sie dem jeweils anderen in der einen oder anderen Weise unterlegen ist (vgl. RIS-Justiz: RS0018055). Aus diesem verstärken Vertrauensgrundsatz ergibt sich auch, dass aus einer Kündigungserklärung im Versicherungsverhältnis klar und unzweideutig zu erkennen sein muss, dass eine Lösung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft beabsichtigt ist (vgl. RIS-Justiz: RS0111119).

Vor diesem Hintergrund kam der OGH im vorliegenden Fall zu dem Schluss, dass bei einer gegenständlich so undeutlichen Kündigung, die noch dazu auf ein Versicherungsvertragsverhältnis hindeutet, das die Klägerin gar nicht abgeschlossen hat, nicht von einer rechtswirksamen Kündigung einer tatsächlich abgeschlossenen Krankenversicherung ausgegangen werden kann. Die beklagte Partei wäre sohin zur Aufklärung durch Nachfragen verpflichtet gewesen.

Letzten Endes bildet der Grundsatz von Treu und Glauben bzw. der Übung des redlichen Verkehrs das Fundament aller Vertragsverhältnisse, sodass wenn schon nicht die Pflicht besteht, bei unklaren Erklärungen nachzufragen, wie dies aber hier der Fall gewesen wäre, einmal zu viel Nachfragen keinesfalls schadet, in jedem Fall aber geeignet ist, einem teuren Rechtsstreit vorzubeugen.

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