Werkvertragsrecht

Wann gilt die ÖNORM B2110 bei Werkverträgen ? – OGH vom 19.10.2023, 5 Ob 70/23i

In Bauwerkverträgen findet sich (meist einleitend) vielfach eine Rangfolge der für die Vertragsauslegung maßgeblichen Vorschriften. Um dabei die für die Werkunternehmerin/Auftragnehmerin im Vergleich zum ABGB vorteilhafte ÖNORM B2110 als maßgeblich zu positionieren, genügt der allgemeine Hinweis auf die Geltung der Ö-Normen nicht. Dies hat der Oberste Gerichtshof (OGH) im gegenständlichen Fall unmissverständlich klargestellt.

Im Auftrag zwischen der klagenden Bauträgerin und der mit der bauphysikalischen Projektbearbeitung betrauten (zweit)beklagten Partei war zwar eine Rangfolge der Vorschriften derart niedergelegt worden, dass ganz allgemein der Anwendung von Ö-Normen Vorrang vor dem ABGB eingeräumt wurde. Die ÖNORM B2110 wurde darin jedoch nicht ausdrücklich erwähnt.

Diese ÖNORM sieht nun in Punkt 12.3.1 – abweichend vom strengeren Haftungsregime des ABGB –  eine Haftungsbegrenzung der Höhe nach zu Gunsten der Auftragnehmerin bei bloß leicht fahrlässigem Verhalten vor. Der Versuch der für die Bauphysik verantwortlichen (zweit)beklagten Partei, sich auf diese Haftungsbegrenzung in der ÖNORM B2110 zu berufen, fand vor dem OGH kein Gehör. Das Höchstgericht ordnete die konkrete Vertragsklausel so ein, dass lediglich allgemein auf die einschlägigen (technischen und rechtlichen) Ö-Normen Bezug genommen werde, dies sei jedoch nicht ausreichend, um die (strengeren) Haftungsregelungen des ABGB zu verdrängen. Es hätte also (zumindest) der konkreten Bezugnahme auf die ÖNORM B2110 und deren Vorrang vor dem ABGB bedurft, um sich auftragnehmerseitig auf die in der ÖNORM B2110 vorgesehene Haftungsbegrenzung rechtswirksam berufen zu können.

Das vorliegende Judikat enthält daneben auch lehrreiche Ausführungen zur Begrenzung der Schadensminderungsobliegenheit des Geschädigten. Diesem kann nach der Judikatur nicht abverlangt werden, zwecks Behebung des durch den Schädiger verschuldeten Schadens auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten nicht zumutbare Schritte zu unternehmen. Der OGH lehnte daher eine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin ebenso ab wie ein Mitverschulden resultierend aus der von der (zweit)beklagten Partei angestrebten Zurechnung des Verhaltens der örtlichen Bauaufsicht zulasten der Klägerin. Das Höchstgericht hält – trotz Kritik von Teilen der Lehre – daran fest, dass die örtliche Bauaufsicht (nur) den Bauherrn vor Fehlern der bauausführenden Unternehmen bewahren soll, aber nicht den Zweck hat, die bauausführenden Unternehmen oder sonstige Auftragnehmer des Bauherrn von ihrer Verantwortung zu entlasten oder deren Verantwortung zu mindern (RS0108535; RS0107245).

Ein allfälliger Fehler der örtlichen Bauaufsicht wäre nur dann dem Bauherren zuzurechnen, wenn die örtliche Bauaufsicht Pflichten oder Obliegenheiten verletzt, die aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung oder nach der Verkehrsübung die Bauherrin selbst getroffen hätten oder von dieser nachträglich übernommen worden wären (RS0021766 [T3;T7]). Da dies im gegenständlichen Fall – es ging um die fehlerhafte Auswahl des Materials für die Ausflockung von Entlüftungsschächten – offenkundig nicht der Fall war, liegt es an der (zweit)beklagten Partei, das behauptete Mitverschulden der örtlichen Bauaufsicht in einem Regressprozess gegen die örtliche Bauaufsicht zu relevieren, um sich derart von einem Teil des der Klägerin zu leistenden Schadenersatzes zu entlasten.

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