Rechtsprechung

Neue Judikatur zur Aufsichtsratshaftung: OGH 27. 8. 2024, 6 Ob 142/23k

Der Oberste Gerichtshof hat in einer jüngst ergangenen Entscheidung zu Fragen der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern (konkret einer Bank) Stellung genommen. Beklagte waren fünf ehemalige Aufsichtsratsmitglieder, welche auf EUR 30 (bzw. 20) Mio. in Anspruch genommen wurden. Im Ergebnis wurde eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder verneint.

Im Sachverhalt ging es um eine Bank, deren Geschäftstätigkeit i.W. in der Vergabe von Krediten an Gemeinden, Städte und Länder bestand. Im Zuge der Finanzkrise 2008 kam es zu einem Vermögensverfall bei der Bank und ihrer zypriotischen Tochtergesellschaft. Im Haftungsprozess ging es um mehrere Sachverhaltskomplexe, insbesondere auch um Credit Default Swaps.

Eine Reihe von Aussagen des OGH ist – auf einer abstrakteren Betrachtungsebene – bedeutsam, wobei einiges bereits aus der Vorjudikatur bekannt ist:

  • Eingangs betont der OGH die unterschiedlichen Rollen des Vorstands und des Aufsichtsrats. U.a. hält das Höchstgericht fest:

Der Aufsichtsrat ist jedoch weder Vorgesetzter der Geschäftsleiter noch obliegt ihm die „Oberleitung“ der Gesellschaft.“

  • Nach dem OGH obliegt die Informationsversorgung des Aufsichtsrats dem Vorstand.

Aufgrund der unterschiedlichen Funktionen des Vorstands und des Aufsichtsrats besteht eine beachtliche Informationsasymmetrie zwischen diesen beiden Organen, weil der Aufsichtsrat in die Unternehmensleitung nicht involviert ist. Der Aufsichtsrat ist bei Erfüllung seiner Aufgaben auf eine angemessene Information über Belange der Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften angewiesen. Die Informationsrechte des Aufsichtsrats können dieses Defizit nicht notwendigerweise ausgleichen, soweit der Aufsichtsrat mangels Kenntnis des Grundsachverhalts keine spezifischen Fragen an den Vorstand richten kann […] Nach dem Konzept von § 81 iVm § 95 Abs 1 AktG ist die Information des Aufsichtsrats grundsätzlich eine Bringschuld des Vorstands.“

  • Der Aufsichtsrat muss hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Informationen eine Plausibilitätskontrolle anstellen.

Der Aufsichtsrat darf in der Regel auf die Richtigkeit dieser ihm erstatteten Information vertrauen. Er ist jedoch zur Plausibilitätskontrolle verpflichtet und muss für Aufklärung allfälliger Ungereimtheiten sorgen. Weitere Aufklärungen können auch erforderlich sein, wenn sonstige Anhaltspunkte für unrichtige oder unvollständige Berichterstattung bestehen oder der Vorstand in der Vergangenheit mangelhaft informierte. Werden Mängel in der Geschäftsführung ersichtlich oder bestehen dahingehende Indizien, hat der Aufsichtsrat einzuschreiten, so etwa wenn der Vorstand ungewöhnlich leichtfertig agiert oder Zustimmungsvorbehalte missachtet

  • Der OGH legt zwar abstrakt einen strengen Sorgfaltsmaßstab an, differenziert aber anhand des konkreten Falles, was ein durchschnittlich gewissenhaftes Aufsichtsratsmitglied erkennen musste und was nur ein „stark überdurchschnittlich sorgfältiges“ Aufsichtsratsmitglied erkennen musste, z.B.:

Weder aus den Quartalsabschlüssen […] noch aus dem Halbjahresabschluss […] war für einen gewissenhaften durchschnittlich sorgfältigen Aufsichtsrat der Klägerin hinsichtlich des CDS-Portfolios ein Warnsignal für die die Klägerin treffenden Liquiditätsrisiken zu entnehmen. Weder dem Einzeljahresabschluss 2007 noch dem Konzernjahresabschluss 2007 der Klägerin war für einen gewissenhaften durchschnittlich sorgfältigen Aufsichtsrat der Klägerin hinsichtlich des CDS-Portfolios ein Warnsignal zu entnehmen. Lediglich für einen stark überdurchschnittlich sorgfältigen Aufsichtsrat der Klägerin war dem Konzernjahresabschluss 2007 der Klägerin auf S 168 des 235 Seiten starken Geschäftsberichts hinsichtlich des CDS-Portfolios als „Warnsignal“ zu entnehmen […]“

  • U.a. spielt auch eine laufende Marktbeobachtung eine Rolle:

Einem gewissenhaften durchschnittlich sorgfältigen Aufsichtsrat einer Bank in der konkreten Situation der Klägerin war der Spreadanstieg im Spätherbst 2007 aus der laufenden Marktbeobachtung bekannt, er musste jedoch nicht zwangsläufig zeitnahe einen Bezug zum CDS-Portfolio der Klägerin herstellen.“

Die Betrachtung des Falles zeigt, dass der Chronologie der Ereignisse eine besondere Bedeutung zukommt: Wenn Aufsichtsratsmitglieder schadenstiftendes Verhalten erst zu einem Zeitpunkt erkennen / erkennen müssen, in welchem der Eintritt des Schadens auch bei pflichtgemäßem Ergreifen von Maßnahmen nicht mehr abgewendet werden kann, dann haften sie nicht.

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