Bevor wir uns mit den (neuen) Rechtsschutzinstrumenten auseinandersetzen, die mit der Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle (BGBl I 2024/85) ab 18. Juli 2024 zur Verfügung stehen, ist der Frage nachzugehen, wer zur Einbringung einer Verbandsklage neuen Typs überhaupt befugt ist.
- Qualifizierte Einrichtungen
Der Gesetzgeber hat – in Anlehnung an die Begrifflichkeit der EU-Richtlinie 2020/1828 vom 25.11.2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher – ausschließlich die sogenannten Qualifizierten Einrichtungen zur Geltendmachung berechtigt.
Das Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetz (QEG), veröffentlicht unter Art. 1 der Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungsnovelle, unterscheidet zwischen grenzüberschreitenden Verbandsklagen und innerstaatlichen Verbandsklagen.Die Wirtschaftskammer Österreich und die Bundesarbeitskammer wurden von Gesetzes wegen jeweils als Qualifizierte Einrichtung mit umfassender Befugnis (für grenzüberschreitende und innerstaatliche Verbandsklagen) ausgestattet.Zu den ex lege anerkannten Qualifizierten Einrichtungen zählen weiters der Verein für Konsumenteninformation, der Österreichische Gewerkschaftsbund, der Österreichische Landarbeiterkammertag, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs sowie der Österreichische Seniorenrat, wobei diesen fünf Entitäten vom Gesetzgeber nur die Befugnis für innerstaatliche Verbandsklagen verliehen wurde (§3 QEG).Der Kreis der gesetzlich anerkannten Qualifizierten Einrichtungen ist damit ident mit den zu Unterlassungsklagen gemäß §§28 ff KSchG berechtigten Organisationen (§29 Abs 1 KSchG).
Neben diesen gesetzlich eingerichteten („geborenen“) Qualifizierten Einrichtungen eröffnet der Gesetzgeber juristischen Personen die Möglichkeit, beim Bundeskartellanwalt die bescheidmäßige Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung (als „gekorene“ Qualifizierte Einrichtung) zu beantragen.Ein Antrag auf Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung ist positiv zu erledigen, wenn die Antragstellerin bestimmte gesetzlich definierte Voraussetzungen erfüllt (§1 Abs 1 Z 1 bis Z 5 QEG).Die Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung für innerstaatliche Verbandsklagen mit Bescheid des Bundeskartellanwalts setzt überdies voraus, dass hinsichtlich der Antragstellerin aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass sie ihre satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und sie nicht mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel durch unentgeltliche finanzielle Zuwendungen von Unternehmen, wie etwa Spenden und Schenkungen, bezieht (§2 Abs 1 QEG).
Auch wenn demnach die Hürde für die bescheidmäßige Anerkennung als klagslegitimierte Qualifizierte Einrichtung vom Gesetzgeber sehr hoch angesetzt wurde, kann festgehalten werden, dass dem auf der Website des Bundeskartellanwaltes veröffentlichten aktuellen Verzeichnis der Qualifizierten Einrichtungen mit Stand 31. März 2025 (https://www.justiz.gv.at/justiz/justizbehoerden/Bundeskartellanwalt – abgefragt am 21.4.2025) zu entnehmen ist, dass bereits der Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen (Verbraucherschutzverein, VSV) und Noyb-Europäisches Zentrum für Digitale Rechte als Qualifizierte Einrichtung sowohl für grenzüberschreitende als auch für innerstaatliche Verbandsklagen bescheidmäßig anerkannt wurden.Weiters scheint auf diesem Verzeichnis die Initiative zur Bekämpfung von Cyberkriminalität an Konsumenten und Kleinanlegern in Europa (Englisch: EFRI European Funds Recovery Initiative) als (lediglich) für grenzüberschreitende Verbandsklagen befugte Qualifizierte Einrichtung auf.
- Unterlassungsklage neu
Als scharfes Schwert zum Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern könnte sich künftig die Befugnis zur Einbringung einer Unterlassungsklage neuen Typs (§5 Abs 1 QEG) erweisen. Demnach ist eine Qualifizierte Einrichtung berechtigt, die Unterlassung (Beendigung und Verbot) eines rechtswidrigen Verhaltens eines Unternehmers zu verlangen, wenn dieses rechtswidrige Verhalten die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht.Es kann demnach – im Unterschied zu §§28 ff KSchG, deren Anknüpfungspunkt zwingend Allgemeine Geschäftsbedingungen sind – jedes rechtswidrige Verhalten eines Unternehmers zum Gegenstand einer Unterlassungsklage gemacht werden.
Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 2602 BlgNr. 27. GP) soll jedes rechtswidrige Verhalten eines Unternehmers erfasst werden, „das sich zu einer Praxis des jeweiligen Unternehmers entwickelt hat“. Als Beispiele werden „Massengeschäfte“ oder „quantitativ weitreichende“ und „systematisch begangene“ Rechtsverletzungen genannt.
Auch wenn die (für den Erfolg einer Unterlassungsklage notwendige) Beeinträchtigung oder bloß drohende Beeinträchtigung kollektiver Interessen von Verbrauchern im Einzelfall schwierig nachzuweisen sein wird, ist jeder Unternehmer gut beraten, die Rechtskonformität seiner geschäftlichen Gestionen regelmäßig (auch im Lichte der sich wandelnden oberstgerichtlichen Judikatur) zu überprüfen und zB erforderlichenfalls auch jahrelang unbeanstandete Vertragsklauseln zu adaptieren.
Aus Unternehmersicht sollte auch und gerade im Lichte einer gleichzeitig mit dem QEG in Kraft getretenen, unsystematisch und damit gleichsam versteckt in der ZPO enthaltenen verjährungsrechtlichen Spezialvorschrift das Risiko einer Unterlassungsklage gemäß §5 Abs 1 QEG vermieden werden. Die Einbringung einer Unterlassungsklage durch eine Qualifizierte Einrichtung hemmt nämlich bei allen betroffenen Verbrauchern den Lauf der Verjährungsfrist für die mit dem Streitgegenstand der Klage in Zusammenhang stehenden Ansprüche der Verbraucher bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens über die Unterlassungsklage. Danach verbleibt einem betroffenen Verbraucher jedenfalls noch eine Frist von 6 Monaten, um seinen (konkreten) Anspruch gegen den Unternehmer mit Klage oder Beitritt zu einem Verbandsklageverfahren auf Abhilfe (dazu näher in unseren Teilen III und IV der Beitragsreihe „Die neue Verbandsklage“) geltend zu machen (§619 Abs 4 ZPO).
Auch wenn der Gesetzgeber verlangt, dass in der Unterlassungsklage hinreichende Angaben zu den davon betroffenen Verbrauchern zu machen sind (§619 Abs 2 ZPO), sollte sich der beklagte Unternehmer nicht darauf verlassen, dass anhand der Klagserzählung all seine Kunden (Verbraucher), welche von der verjährungshemmenden Wirkung der Unterlassungsklage profitieren, eindeutig identifiziert werden können. In der Literatur wird in Anlehnung an die Gesetzesmaterialien und die Erwägungsgründe der einschlägigen EU-Richtlinie vertreten, dass eine namentliche Konkretisierung individueller Verbraucher oder deren Anzahl in der Unterlassungsklage der Qualifizierten Einrichtung nicht erforderlich sei, ja selbst eine Umschreibung der Tatbestandsvoraussetzungen der Verbraucheransprüche unterbleiben könne.Es wird an der Rechtsprechung liegen, mit Blick auf den jeweiligen Streitgegenstand der Unterlassungsklage die Grenzen der mit der Klagseinbringung verbundenen Verjährungshemmung individueller Ansprüche konkreter Verbraucher zu konturieren.