Baurecht

OGH 29. 11. 2021, 8 Ob 106/21b – Wie weit reicht die Haftung des Baustellenkoordinators?

Das seit 1. Juli 1999 in Kraft stehende Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) hat sich zum Ziel gesetzt, durch Verbesserung der Koordinierung bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauarbeiten die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer zu gewährleisten (§1 Abs 1 BauKG).
Wenn auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber zum Einsatz kommen, so hat der Bauherr für die Vorbereitungsphase einen Planungskoordinator und für die Ausführungsphase einen Baustellenkoordinator zu bestellen. Diese Funktion kann auch von derselben Person oder – bei entsprechender fachlicher Eignung – auch vom Bauherrn selbst ausgeübt werden (§3 Abs 1 BauKG).
Der Gesetzgeber hat auch die Koordinierungspflichten, die der Baustellenkoordinator bei der Ausführung des Bauwerks zu beachten hat, umfassend und sehr detailliert geregelt (§5 BauKG).

Wie weit reicht nun in der Praxis die Verantwortung des Baustellenkoordinators?
Unter welchen Voraussetzungen trifft den Baustellenkoordinator eine schadenersatzrechtliche Haftung, wenn es durch sorglosen Umgang mit Arbeitsmitteln oder Schutzeinrichtungen zu einem Arbeitsunfall kommt?
Das Höchstgericht hat schon in 8 ObA 54/14w im Einklang mit der ratio des BauKG ausgesprochen, dass die Haftung des Baustellenkoordinators nur dann eingreift, wenn ein Koordinierungsfehler bei der Ausführung von Bauarbeiten durch mehrere Arbeitgeber einen Schaden auslöst.

In der aktuellen Entscheidung 8 Ob 106/21b hatte das Höchstgericht Gelegenheit, diese (haftungseinschränkende) Sichtweise zu bekräftigen.
Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber mit der Errichtung eines kleinen Schutzdaches an der Außenhülle eines Fabriksgebäudes beauftragt worden war, hatte ein Behelfsgerüst errichtet, das in mehrerlei Hinsicht nicht den Sicherheitsvorschriften entsprach und daher nicht absturzsicher war. Er stürzte aus rund 2,5 m Höhe ab und zog sich schwerste Verletzungen zu.
Der Arbeitnehmer scheiterte mit seiner sowohl gegen den Baustellenkoordinator als auch gegen den Auftraggeber seines Arbeitgebers gerichteten Schadenersatzklage in allen Instanzen.
Hinsichtlich des beklagten Baustellenkoordinators erinnerte das Höchstgericht daran, dass das BauKG (nur) jenen Gefahren begegnet, die aufgrund der gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Tätigkeit von Arbeitnehmern verschiedener Unternehmen entstehen (RIS-Justiz RS 0119449 [T1]). Der Baustellenkoordinator haftet daher nur dann, wenn sich jenes Risiko verwirklicht, das sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Unternehmen auf einer Baustelle ergibt (2 Ob 35/19i), was im konkreten Fall nicht zutraf.
Hinsichtlich des ebenfalls beklagten Werkbestellers (Auftraggebers) betonte das Höchstgericht, dass diesen bei leicht zu erkennenden Gefahren keine Informationspflicht trifft; außerdem müsse ein Fachunternehmen über die in dessen Tätigkeitsbereich typisch auftretende Gefahren nicht aufgeklärt werden (RS 0021808 [T5]).
Der OGH hat mit der vorliegenden Entscheidung einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Bedeutung des BauKG im risikobehafteten Alltag auf Baustellen geleistet.

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