Verwaltungsrecht

VwGH 8.3.2021, Ra 2020/01/0278: Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte

§ 28 Abs 2 VwGVG verpflichtet die mit einer Beschwerde gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid befassten Verwaltungsgerichte (9 Landesverwaltungsgerichte sowie das Bundesverwaltungsgericht) nicht nur bei Feststehen des maßgeblichen Sachverhaltes in der Sache selbst zu entscheiden, sondern immer auch dann, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Das Verwaltungsgericht wird zwar vom Gesetzgeber auch dazu legitimiert, den angefochtenen Bescheid der Verwaltungsbehörde aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückzuverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat (§28 Abs 3 Satz 2 VwGVG), der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in den letzten Jahren in seiner Judikatur dieser Entscheidungsform im Sinne der Verfahrensbeschleunigung erfreulicherweise sehr enge Grenzen gesetzt.

Demnach darf das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken aufheben und die Sache an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen. Nur dann, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden, darf sich das Verwaltungsgericht der zur Ergänzung des Sachverhaltes notwendigen Ermittlungstätigkeit entziehen und mit einer Bescheidaufhebung vorgehen.

In der vorliegenden Entscheidung betont der Verwaltungsgerichtshof die Bedeutung des – von den Verwaltungsgerichten zu wahrenden – Interesses an der Raschheit des Verfahrens und stellt abermals klar, dass unter diesem Aspekt natürlich nicht nur die voraussichtliche Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, sondern die Dauer bis zu einer meritorischen Entscheidung maßgebend ist (siehe dazu schon VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, Rn.11) und diese möglichst kurz sein soll Der Verwaltungsgerichtshof erinnert auch daran, dass durch die Aufhebung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht die Möglichkeit eröffnet wird, die dann neuerlich zu fällende verwaltungsbehördliche Entscheidung in einem weiteren Rechtsgang abermals vor dem Verwaltungsgericht zu bekämpfen, was insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung führt. Aus diesem Grund sind die Verwaltungsgerichte dazu verhalten, von der Möglichkeit der Aufhebung eines verwaltungsbehördlichen Bescheides samt Zurückweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde nur in Ausnahmefällen Gebrauch zu machen.

Im konkreten Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht in einer Asylangelegenheit versucht, sich der prinzipiell bestehenden Pflicht zur Entscheidung in der Sache selbst mit dem Hinweis zu entziehen, dass nach Durchführung noch notwendiger Erhebungen „nicht absehbare Weiterungen des Verfahrens“ drohen. Außerdem hatte das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides und die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde (nämlich an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) damit begründet, dass diese als Spezialbehörde die noch notwendigen Erhebungen rascher und effizienter nachholen könnte. Beide Argumente hielten der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht stand,  sondern wurden von diesem unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung (siehe dazu VwGH 3.4.2018, Ra 2017/01/0433, Rn.12 sowie 2.9.2019, Ra 2019/01/0086, Rn.11)) als untauglich verworfen.

Das Bundesverwaltungsgericht wird daher in der Sache selbst entscheiden müssen.

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