OGH zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern (6 Ob 58/20b): Haftungsrisiken durch Kredite im Konzern

Eine neue höchstgerichtliche Entscheidung zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern macht die Haftungsrisiken bei Kreditvergaben im Konzern deutlich. Im konkreten entscheidungsgegenständlichen Fall ging es – vereinfacht gesagt – um die (einstimmige) Zustimmung des Aufsichtsrats (vom 8. 11. 2011) zu einer Kreditgewährung seitens der AG, welche in der Folge zugunsten einer Gesellschaft erfolgte, an welcher Aktionäre der Kreditgeberin mehrheitlich mittelbar beteiligt waren. Die beklagten Aufsichtsratsmitglieder waren zudem Aufsichtsratsmitglieder der Kreditnehmerin. Die Kreditnehmerin wurde in weiterer Folge insolvent (das Konkursverfahren wurde am 30. 12. 2011 eröffnet), ebenso die Kreditgeberin (Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 27. 6. 2012). Bereits im Zeitpunkt der Kreditgewährung war die Liquiditätslage der Kreditgeberin angespannt und die Kreditnehmerin verfügte über praktisch keine Einnahmen. Die Kreditgewährung wurde ohne Besicherung durchgeführt.

Die „Ingredienzien“ des konkreten Falles lassen beim/bei der gesellschaftsrechtlich versierten Praktiker/in freilich die Alarmglocken schallen. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die Umstände zu einer Haftung der Aufsichtsratsmitglieder führten.

Der OGH trifft in seiner Entscheidung eine Reihe grundlegender Aussagen zur Organhaftung im Allgemeinen und zur Aufsichtsratshaftung im Speziellen, wie sie bereits aus der rechtswissenschaftlichen Literatur und/oder der Vorjudikatur bekannt waren. Einige „Eckpunkte“ der Haftung seien im Folgenden in Erinnerung gerufen:

  • Aufsichtsratsmitglieder haften für den von ihnen rechtswidrig und schuldhaft verursachten Schaden der Gesellschaft als Gesamtschuldner.
  • Die Beweislast dafür, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen Aufsichtsratsmitglieds eingehalten haben, liebt grundsätzlich bei den Aufsichtsratsmitgliedern, dh sie müssen sich freibeweisen.
  • Die sogenannte „Business Judgment Rule“ (§ 84 Abs 1a AktG, § 25 Abs 1a GmbHG) ist auf Aufsichtsratsmitglieder anwendbar, dh sie haben bei unternehmerischen Entscheidungen einen Ermessensspielraum. Der „Safe Harbour“ greift nach der vorliegenden OGH-Entscheidung ein, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen:
    • Der Organwalter darf sich nicht von sachfremden Interessen leiten lassen.
    • Die Entscheidung muss auf Grundlage angemessener Information getroffen werden.
    • Die Entscheidung muss ex ante betrachtet offenkundig dem Wohl der juristischen Person dienen.
    • Der Organwalter muss (vernünftigerweise) annehmen dürfen, dass er zum Wohle der juristischen Person handelt.
  • Sind nicht alle der vorgenannten Kriterien erfüllt, bedeutet dies zwar nicht automatisch, dass das Aufsichtsratsmitglied sorgfalts- bzw rechtswidrig gehandelt hat, doch ist die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens zu prüfen, wobei die Beweislastumkehr zu Lasten des Aufsichtsratsmitglieds eingreift.
  • Die Haftung greift bereits bei leichtem Verschulden

Die Entscheidung enthält ein „Sammelsurium“ an Aussagen zur Haftung, welche beim/bei der Leser/in teilweise Nutzen, teilweise möglicherweise auch Verwirrung stiften könnten. So hat das Höchstgericht etwa eine Aussage „wiederbelebt“, welche in der bekannten und verbreitet kritisierten Entscheidung 5 Ob 306/76 aus dem Jahr 1977 vorkommt: Das Aufsichtsratsmitglied müsse „in geschäftlichen und finanziellen Dingen ein größeres Maß an Erfahrung und Wissen besitzen als ein durchschnittlicher Kaufmann und die Fähigkeit haben, schwierige rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft zu beurteilen“. Zwar sei „anzuerkennen, dass Vorbildung, Kenntnisse und Erfahrungen in der Sorgfaltsfrage verschieden sein können“, es müsse „jedoch bei jedem Aufsichtsratsmitglied eine das Durchschnittsniveau übersteigende, besondere „intelligenzmäßige Kapazität“ vorausgesetzt werden“.

Dass die Entscheidung etwas „Zuckerbrot“ und etwas „Peitsche“ ist, wird durchwegs bei deren Lektüre erkennbar. So findet sich beispielsweise die Aussage, dass eine Haftung der Organwalter nur zu bejahen sei, wenn „diese ihren Ermessensspielraum eklatant überschreiten, eine evident unrichtige Sachentscheidung oder eine geradezu unvertretbare Entscheidung treffen“.

Je undeutlicher oder widersprüchlicher die Beurteilungskriterien anmuten, je zahlreicher die Adjektiva und Adverbien bei der Beschreibung der Beurteilungsmaßstäbe zur Anwendung gelangen, desto schwieriger ist es, den Nebel im Einzelfall zu lüften. Letztlich dürfen die zahlreichen in der OGH-Entscheidung verarbeiteten Informationen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Kern schlicht um die Sorgfalt geht und dass diese mittels Rückgriffs auf die Verkehrsanschauung konkretisiert wird. Zutreffend ist jedenfalls der Gedanke des OGH, dass es bei unternehmerischen Entscheidungen nicht nur eine richtige Variante gibt. Mehrere Handlungsalternativen können sorgfaltskonform sein. Die primäre Orientierung am Unternehmenswohl (bzw Gesellschaftswohl) ist allerdings regelmäßig entscheidend.

Für die Bejahung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder (bzw für die Vertretbarkeit der Ansicht des Berufungsgerichts) waren folgende Umstände entscheidend:

  • die festgestellte Motivenlage der Darlehensgewährung
  • die fehlende Besicherung des Kredits (wobei die wirtschaftliche Situation der Darlehensnehmerin einen Ausfall nahelegte)
  • die Unüblichkeit der Kreditgewährung für die Kreditgeberin und die fehlende Erkennbarkeit eines Vorteils für die Kreditgeberin

Im Verfahren vorgebrachte Argumente für die Zulässigkeit der Kreditgewährung (etwa: Bonität der Eigentümerfamilie; Wert von Patenten und Beteiligungen) drangen bei Gericht nicht durch. Ebenso wenig war erheblich, dass Details des Kreditvertrages durch Rechtsanwälte ausgearbeitet werden sollten und eine Besicherung „erwartet“ wurde, weil die Zustimmung des Aufsichtsrats ohne entsprechende Einschränkung erteilt worden war.

Aufgrund der Bejahung der Sorgfaltswidrigkeit war das Thema der verbotenen Einlagenrückgewähr nicht entscheidungserheblich, doch lässt sich den Ausführungen des OGH entnehmen, dass er eine solche im vorliegenden Fall bejaht.

Fazit

Der Fall veranschaulicht gut, dass Kreditgewährungen im Konzern für Geschäftsleitungs- und Kontrollorgane heikel sind. Es genügt grundsätzlich nicht, dass ein Organwalter auf die Rückzahlung eines Kredits vertraut. Er muss, um vor einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme sicher zu sein, zumindest auch darauf vertrauen dürfen. Ein praktisch entscheidendes Kriterium wird die ausreichende Besicherung des Kredits sein. Das Vertrauen auf die gute Bonität der wirtschaftlichen Eigentümer des Konzerns ist nicht ausreichend.

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