Datenschutzrecht

OGH 4.2.2021, 5 Ob 139/20g – Recht auf fair trial stärker als Datenschutz!

In einem Pflegschaftsverfahren legt die Kindesmutter einen Zwischenbericht ihres Psychotherapeuten vor. Dies zum Nachweis dafür, dass ihr jegliche direkte Konfrontation mit dem Kindesvater unmöglich sei, weshalb sie die vom Pflegschaftsgericht beiden Kindeseltern auferlegte gemeinsame Elternberatung nicht wahrnehmen könne. Die Kindesmutter beantragt gleichzeitig, die vorgelegte Urkunde, die sensible Gesundheitsdaten beinhaltet, vom Akteneinsichtsrecht des Kindesvaters auszunehmen. Sie begründet ihr Begehren nach Schutz ihrer Gesundheitsdaten auch mit der Befürchtung, dass der Kindesvater, dem vor einigen Monaten die Obsorge für das Kind entzogen worden war und dessen Kontaktrecht auf begleitete Besuche beschränkt wurde, den Inhalt des Zwischenberichtes des Psychotherapeuten künftig zu seinem Vorteil ausnützen werde.

Der im Verfassungsrang stehende §1 des österreichischen Datenschutzgesetzes BGBl. I Nr. 165/1999 idF BGBl. I Nr. 51/2012 statuiert ein Grundrecht auf Datenschutz in Form eines Anspruches auf Geheimhaltung personenbezogener Daten, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung des Privat- und Familienlebens.

Die seit 25. Mai 2018 in den EU-Staaten und damit auch in Österreich unmittelbar anwendbare Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) (EU) 2016/679 verbietet in Artikel 9 Abs 1 u.a. die Verarbeitung von Gesundheitsdaten. Darunter sind personenbezogene Daten zu verstehen, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen (Art 4 Z 15 DSGVO).

Bleibt dem Kindesvater also die Einsichtnahme in den von der Kindesmutter vorgelegten Zwischenbericht ihres Psychotherapeuten verwehrt? Muss er akzeptieren, dass das Pflegschaftsgericht eine Entscheidung auf der Grundlage einer von der Kindesmutter vorgelegten Urkunde trifft, die er nicht einsehen darf? Mitnichten!

Dem Grundrecht auf Datenschutz und insbesondere auch dem Schutz von Gesundheitsdaten sind nämlich Grenzen gesetzt. Im konkreten Fall ist das (ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherte) Grundrecht des Kindesvaters auf ein faires Verfahren (Art 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention/EMRK)) zu berücksichtigen. Es sind daher die Interessen der Kindesmutter am Schutz ihrer Gesundheitsdaten einerseits und das Interesse des Kindesvaters an einem fairen Verfahren andererseits gegeneinander abzuwägen.

Alle drei im Instanzenzug mit der konkreten causa befassten Gerichte kamen zum Ergebnis, dass die Interessensabwägung zu Gunsten des Kindesvaters auszufallen hat.Wenn die Kindesmutter selbst sensible Daten in das Pflegschaftsverfahren einbringt, um damit ihren Standpunkt zu begründen, so muss sie in Kauf nehmen, dass diese Daten – getreu dem Grundgedanken eines fairen Verfahrens – dem Kindesvater als Verfahrensbeteiligten zugänglich werden. Im Hinblick auf das Gebot des fair trial müssen nämlich alle Aktenbestandteile, die Auswirkungen auf den Verfahrensausgang haben können, auch dem Kindesvater im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich gemacht werden.

Dieses Ergebnis steht übrigens auch im Einklang mit der DSG-VO, die in Art 9 Abs 2 zahlreiche Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Verarbeitung von Gesundheitsdaten vorsieht. So ist etwa deren Verarbeitung dann zulässig, wenn diese zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist (Art 9 Abs 2 lit f DSGVO).

 

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