Zivilrecht

OGH 5.8.2021, 5 Ob 120/21i – Rücktritt vom Werkvertrag auch ohne Nachfristsetzung?

Die einseitige Beendigung einer Vertragsbeziehung durch Rücktritt wegen Säumigkeit des Vertragspartners mit der Erfüllung seiner Leistungspflichten setzt grundsätzlich die Setzung einer angemessenen Nachfrist voraus. Es muss also dem säumigen Vertragspartner die Möglichkeit eingeräumt werden, die geschuldete Leistung nachzuholen und damit den Vertrag aufrechtzuerhalten. Rücktrittserklärung und Nachfristsetzung bilden eine Einheit, die dem säumigen Schuldner eine letzte Chance zur Vertragserfüllung geben soll (RS 0018375).

Auf die Nachfristsetzung kann aber in bestimmten Fällen – für deren Vorliegen ist allerdings der rücktrittswillige Vertragspartner beweispflichtig – verzichtet werden, und zwar

 wenn der Schuldner offensichtlich nicht in der Lage ist, die Leistung nachzuholen (RS 0018400) oder
 wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (RS 0018371; RS 0018428) oder
 wenn der Schuldnerverzug auf einen Fehler des säumigen Vertragspartners zurückgeht, der dessen offensichtliche Unfähigkeit, nicht zu tolerierende Unzuverlässigkeit oder ein generelles Unvermögen dokumentiert (5 Ob 166/07h; 6 Ob 134/18a).

Bei einem Werkvertrag wird von der Judikatur ein Rücktrittsrecht aus wichtigem Grund ohne Nachfristsetzung anerkannt. Jeder Vertragspartner, also Werkbesteller (Auftraggeber) oder Werkunternehmer (Auftragnehmer) hat das Recht zum Vertragsrücktritt, wenn das Vertrauen in den anderen Vertragspartner wegen dessen treuwidrigen Verhaltens verloren gegangen ist, sodass die Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung nicht mehr zugemutet werden kann (RS 0111147).

In dem jüngst vom Höchstgericht entschiedenen Fall hatte eine mit dem Neubau einer Bahnstrecke beauftragte Arbeitsgemeinschaft die im Auftragsumfang enthaltene Herstellung und Lieferung von Betonfertigteilen samt Auflagern an eine Subauftragnehmerin ausgelagert und mit dieser die sukzessive Lieferung einer Gesamtmenge bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart. Knapp drei Wochen vor dem Endtermin sollte 85% der Gesamtmenge geliefert sein, der Lieferstand betrug zu diesem Zeitpunkt allerdings erst rund 35%. Dies nachdem die Auftragnehmerin in den ersten Monaten des vereinbarten Lieferzeitzeitraumes die Produktion ohne Notwendigkeit eingestellt hatte. Die Auftragnehmerin bestritt – tatsachenwidrig – das Vorliegen von Verzug und sagte gleich-zeitig einen neuen Lieferplan zu, wobei sie jedoch die für die darauffolgende Woche versprochene Liefermenge wiederum ganz deutlich unterschritt.
Der von der Arbeitsgemeinschaft daraufhin ohne Nachfristsetzung erklärte Vertragsrücktritt wurde vom Höchstgericht unter Hinweis auf die intolerable Unzuverlässigkeit der Auftragnehmerin für zulässig erklärt.

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