Eine Besprechung anhand der Entscheidung OGH 14.07.2022, 1 Ob 98/22a

Ruhen des nachehelichen Unterhaltes wegen eingegangener Lebensgemeinschaft?

  • Einleitung

Eine Folge der Ehescheidung kann die Unterhaltsverpflichtung sein. Geht allerdings die unterhaltsberechtigte Person eine Lebensgemeinschaft ein, so kommt es nach ständiger Rechtsprechung zu einem Ruhen des nachehelichen Unterhaltsanspruches gegenüber der geschiedenen Person. Während der Unterhaltsanspruch etwa im Falle der Wiederverheiratung oder Begründung einer eingetragenen Partnerschaft der zunächst unterhaltsberechtigten Person erlischt, führt eine Lebensgemeinschaft lediglich zu einer Sistierung des Unterhaltes: Bei Wegfall der Lebensgemeinschaft wird wieder Unterhalt geschuldet.

Dreh- und Angelpunkt für die hier interessierende Frage des Ruhens des Unterhaltes ist daher die Lebensgemeinschaft. Im familienrechtlichen Kontext ist sie nicht umfassend gesetzlich geregelt. Der Begriff ist daher stark von höchstgerichtlicher Kasuistik geprägt. Die Rechtsprechung nimmt stets eine umfassende Prüfung des Einzelfalles vor (so schon 7 Ob 728/87).

  • Lebensgemeinschaft

Eine Lebensgemeinschaft wird als eheähnlicher Zustand definiert, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht (3 Ob 209/99b). Dies setzt jedenfalls eine gewisse Dauerhaftigkeit der Beziehung voraus: Die Partnerschaft muss auf eine gewisse zeitliche Dauer eingerichtet sein (2 Ob 314/98k). Freilich ist unerheblich, ob es sich dabei um eine ungleich- oder gleichgeschlechtliche Partnerschaft handelt (6 Ob 28/07x).

Angelehnt an die Ehe spielen auch hier neben einer zwischenmenschlichen Ebene wirtschaftliche Aspekte eine Rolle (3 Ob 237/11s) – es bedarf eines Mindestmaßes an wirtschaftlicher Gemeinschaft. Die Rechtsprechung prüft das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft insgesamt anhand dreier Kriterien: Wirtschafts-, Geschlechts- und Wohngemeinschaft (siehe dazu etwa 8 Ob 127/02p). Dabei wird von einem beweglichen System ausgegangen, das heißt, der Entfall eines Kriteriums kann aufgewogen werden, wenn die anderen Kriterien entsprechend ausgeprägt verwirklicht sind (siehe bereits 3 Ob 21/65).

Wirtschaftsgemeinschaft bedeutet, dass – wie es salbungsvoll in der Rechtsprechung heißt – die Partner Freud und Leid teilen, einander Beistand und Dienste leisten und zu der Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und der Erholung dienende gemeinsame Güter teilen.

Eine Wohngemeinschaft liegt vor, wenn tatsächlich gemeinsam gewohnt wird und es sich bei der gemeinsamen Unterkunft um den dauernden gemeinsamen Lebensmittelpunkt handeln soll.

Auch die Geschlechtergemeinschaft setzt ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit voraus (1 Ob 717/52).

  • Gegenständliche Konstruktion

In dem in Rede stehenden Fall sprachen sich sowohl die Vorinstanzen als auch der OGH gegen das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft aus. Der nacheheliche Unterhalt ruht daher vorliegend nicht.

Die beiden Partner wohnen in übereinander liegenden Wohnungen, die sich in demselben Haus befinden. Die örtliche Nähe der Wohnungen kann zwar ein Indiz für eine Lebensgemeinschaft sein (3 Ob 31/91), doch liegt hier insgesamt weder eine Wohn- noch eine Wirtschaftsgemeinschaft vor: Es befinden sich keine persönlichen Gegenstände in der Wohnung der anderen Person; Wohnungsschlüssel wurden nicht getauscht. Die Haushaltsführung erfolgt separat (Einkaufen, Kochen, Speisen, Anschaffungen tätigen, Wäschepflege). Es erfolgt keine gegenseitige finanzielle Unterstützung, Bankkonten werden getrennt geführt. Kosten für gemeinsame Ausflüge und Reisen werden getrennt bezahlt. Auch die Geschlechtergemeinschaft ist nur rudimentär verwirklicht: Selten wird gemeinsam übernachtet.

  • Zusammenfassung

Durch die Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehung kann der Fortbestand des nachehelichen Unterhaltes beeinflusst werden. Allerdings verlangt dies, hohe Hürden zu nehmen – nicht jedermanns Sache.

 

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