Bauvertragsrecht

Zur Reichweite der Überwachungspflicht des Baustellenkoordinators – OGH 25.11.2021, 2 Ob 119/21w

Das Bauarbeitenkoordinationsgesetz /BauKG (zu dessen Zweck und Anwendungsbereich siehe den Beitrag unter Legal News vom 27. April 2022) beschreibt in §5 BauKG in drei Absätzen, die ihrerseits jeweils in mehrere Unterpunkte gegliedert sind, ausführlich den umfangreichen Pflichtenkreis des Baustellenkoordinators. Sowohl die Koordinationspflichten (in Absatz 1) als auch die Überwachungspflichten (in Absatz 2) und schließlich die Organisationspflichten (in Absatz 3) werden sehr detailliert beschrieben.
Ungeachtet dieser Regelungsdichte ist auch fast 23 Jahre nach Inkrafttreten des BauKG ein Spruch des Höchstgerichtes notwendig, um die Reichweite der Überwachungspflichten des Baustellenkoordinators zu präzisieren und gleichzeitig die Entscheidung der Vorinstanzen zu korrigieren.
Was war passiert?

Bei einem großen Bauvorhaben war ein auf der Baustelle tätiger Arbeitnehmer in der Dunkelheit im Bereich einer Zwischendecke bei Durchschreiten eines Wanddurchbruches in einen etwa 7 Meter tiefen Schacht gestürzt und hatte sich schwer verletzt. Er klagte den Baustellenkoordinator auf Schmerzengeld und Pflegekosten und begehrte die Feststellung von dessen Haftung für künftige Unfallschäden.
Dem Baustellenkoordinator war 14 Tage vor dem Unfall bekannt geworden, dass auf der Baustelle die Errichtung von zwei Wanddurchbrüchen in der als Absturzsicherung dienenden Paneelwand geplant sei. Aus dem ihm übermittelten Baustellenprotokoll war weder ein Datum für die Umsetzung dieser Maßnahme noch die Größe oder Lage der geplanten Wanddurchbrüche ersichtlich. Der Baustellenkoordinator, der etwa alle ein bis zwei Wochen auf der Baustelle anwesend war, erhielt weder von der örtlichen Bauaufsicht noch von einem der ausführenden Bauunternehmen nähere Informationen über den geplanten Durchbruch der Paneelwand. Er besuchte 6 Tage vor dem Unfall die Baustelle, ohne die Zwischendecke, auf welcher sich später der Arbeitsunfall ereignete, zu inspizieren.
Während das Erst- und auch das Berufungsgericht die Klage abwiesen, führte erst eine außerordentliche Revision des Klägers zu einer Korrektur der Fehlbeurteilung der Vorinstanzen durch den Obersten Gerichtshof (OGH).

Das Höchstgericht betont zunächst, dass der Baustellenkoordinator zur Erfüllung der ihn treffenden Überwachungspflicht (§5 Abs 2 BauKG) ein Augenmerk auf den sicheren Zustand der Verkehrswege und dabei besonders auf die allgegenwärtige Gefahr eines Absturzes von Arbeitnehmern zu legen hat. Der Baustellenkoordinator kommt seiner Überwachungspflicht dann ausreichend nach, wenn er den für den Sicherheitsmangel Verantwortlichen bzw, falls das nichts nützen sollte, den Arbeitgeber selbst auf den Missstand hinweist und ihn zur Beseitigung anhält.
Eine laufende ständige Kontrolle der Sicherheitsvorkehrungen ist nicht notwendig, kann der Baustellenkoordinator im Allgemeinen doch darauf vertrauen, dass sich die stets vor Ort befindenden Sicherheitsfachkräfte und Sicherheitsvertrauenspersonen der einzelnen bauausführenden Unternehmer um die Erfüllung der Sicherheitsvorschriften kümmern (7 Ob 218/19p). Der OGH erteilt damit dem Verlangen nach einer „rund um die Uhr“-Kontrolle der Sicherheitsvorkehrungen eine deutliche Absage und betont, dass die Sorgfaltspflichten des Baustellenkoordinators nicht überspannt werden dürfen (2 Ob 272/03v).

Im gegenständlichen Fall wurde dem Baustellenkoordinator jedoch der Umstand zum Verhängnis, dass er auf die (inhaltlich einigermaßen unklare) Mitteilung über die geplante Durchführung von Wanddurchbrüchen in den als Absturzsicherung im Bereich der Zwischendecke verwendeten Paneelwänden in keiner Weise reagiert hatte. Es wurde ihm daher unter Hinweis auf den strengen Sorgfaltsmaßstab des §1299 ABGB (Sachverständigenhaftung) vom OGH vorgehalten, dass die in Aussicht genommenen Wanddurchbrüche offenkundig eine sicherheitsrelevante Änderung der Baustelleneinrichtung bedeuten, weshalb deren Überwachung durch den Baustellenkoordinator notwendig gewesen wäre.
Weiters wurde dem Baustellenkoordinator vom OGH vorgeworfen, dass er bei der letzten Baustellenbesichtigung, die 6 Tage vor dem Arbeitsunfall stattfand, gerade jenes Areal der Baustelle, in dem die Wanddurchbrüche geplant (und zu diesem Zeitpunkt auch bereits ausgeführt!) waren, nicht überprüft hatte.
Das Höchstgericht hat damit – abweichend von den Vorinstanzen – einen haftungsbegründenden Verstoß des Baustellenkoordinators gegen seine Überwachungspflicht (gemäß §5 Abs 2 BauKG) festgestellt. Gleichzeitig wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und diesem einen neuerliche Entscheidung nach Wiederholung des Beweisverfahrens aufgetragen. Das Berufungsgericht hat dann auch über das Ausmaß des Mitverschuldens des Klägers – dieser hatte einen offenkundig erkennbaren Lichtschalter nicht betätigt und den Unfallbereich daher in der Dunkelheit betreten – zu entscheiden.

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