Der Oberste Gerichtshof hat eine weitere, für die Praxis wichtige Klarstellung für die Auslegung des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes (BauKG) getroffen (siehe dazu auch schon unsere Beiträge unter legal news vom 27. April 2022 und 13. Juni 2022).
Wenn auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber tätig sind, so trifft den Bauherren eine besondere Verantwortung (und Haftung) für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Der Bauherr kann diese Pflichten für die Vorbereitungsphase auf einen Planungskoordinator und für die Ausführungsphase auf einen Baustellenkoordinator übertragen. Diese Pflichtenübertragung ist – aus Sicht der auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer – nur wirksam, wenn die Bestellung des Planungs- und Baustellenkoordinators schriftlich erfolgt (§ 3 Abs 6 BauKG).
Der Zweck des Schriftformgebotes liegt – neben der Beweissicherung – primär darin, klare Verhältnisse hinsichtlich der Verantwortlichkeit zu schaffen. Es dient also vor allem dem Interesse geschädigter Arbeitnehmer, die so leicht feststellen können, wer ihnen gegenüber für Schäden einzustehen hat.
Im konkreten Fall war ein Mitarbeiter der mit Abbrucharbeiten beauftragten Baugesellschaft bei einem Deckeneinsturz schwer verletzt worden. Der Unfall war auf die eklatante Verletzung von Sicherheitsvorschriften zurückzuführen. So fehlte auf der Baustelle eine Einsturzsicherung. Dem schwer verletzten Mitarbeiter war von seinem Dienstgeber weder ein Schutzhelm noch eine andere Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt worden.
Der verletzte Arbeiter klagte die beiden Bauherren, da diese der Pflicht zur Bestellung von Koordinatoren für Sicherheit und Gesundheitsschutz (Planungs- und Baustellenkoordinator) nicht nachgekommen waren.
Dem wurde von Beklagtenseite entgegengehalten, dass die Bauherren ihre Pflichten mündlich auf den Projektleiter (konkret auf die Baufirma) übertragen hätten.
Tatsächlich sieht § 9 Abs 1 BauKG vor, dass der Bauherr dem Projektleiter ohne Einhaltung besonderer Formvorschriften die Bauherrenpflicht übertragen kann. Aber bereits das Berufungsgericht hat in dieser Bestimmung einen unüberbrückbaren Wertungswiderspruch erkannt, könnte sich doch sonst der Bauherr durch eine bloß mündliche oder konkludente Übertragung von Pflichten auf einen Projektleiter leicht seiner Verantwortung entziehen. Dies habe der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 9 Abs 1 BauKG offenkundig übersehen.
Das Höchstgericht ist dieser Argumentation des Berufungsgerichtes gefolgt. Der OGH hat im fehlenden Schriftformgebot bei der Übertragung der Bauherrenpflichten auf den Projektleiter eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes erkannt und wendet das nach dem Gesetzeswortlaut nur für den Planungs- und Baustellenkoordinator vorgesehene Schriftformgebot (§ 3 Abs 6 BauKG) auch auf die Übertragung der Bauherrenpflichten auf den Projektleiter analog an. Nur so könne dem Regelungsziel des Gesetzgebers (Schaffung klarer Verhältnisse für geschädigte Dienstnehmer) konsequent zum Durchbruch verholfen werden.
Das Höchstgericht hat damit in einem weiteren wichtigen Anwendungsbereich des BauKG eine Gesetzeslücke im Wege der Analogie geschlossen und damit für Rechtssicherheit gesorgt.
Links zu den weiteren MSlegal news – Beiträgen zum BauKG
- MSlegal news vom 27.4.2022 : Übertragung der Bauherrenpflichten auf den Projektleiter nur schriftlich wirksam – OGH 27. 1. 2022, 2 Ob 203/21y ?
- MSlegal news vom 13.6.2022: Zur Reichweite der Überwachungspflicht des Baustellenkoordinators – OGH 25.11.2021, 2 Ob 119/21w