Bauvertragsrecht

OGH 28. Juli 2021, 9 Ob 30/21h – Sicherstellung des Werklohnes bei Bauverträgen: Ein scharfes Schwert des Werkunternehmers

Mit dem Handelsrechts-Änderungsgesetz wurde im Jahr 2005 durch § 1170b ABGB die sogenannte Bauhandwerkversicherung eingeführt. Dies mit dem vom Gesetzgeber erklärten Ziel, den Insolvenzrisiken im Bau- und Baunebengewerbe entgegenzuwirken.
Demnach hat der Besteller eines Bauwerkes oder einer Außenanlage zu einem Bauwerk dem Werkunternehmer (Auftragnehmer) über dessen Verlangen eine Sicherstellung für den Werklohn beizubringen. Das Sicherstellungsverlangen kann sofort ab Vertragsabschluss, also unabhängig von jedweder Vorleistung des Werkunternehmers, bis zur Fertigstellung des Werkes gestellt werden. Die Sicherstellung umfasst das (jeweils) noch ausstehende Entgelt und ist mit 20% der gesamten Auftragssumme – bei Bauverträgen, die innerhalb von 3 Monaten zu erfüllen sind, mit 40% der gesamten Auftragssumme – gedeckelt. Diese Befugnis des Werkunternehmers ist gesetzlich zwingend angeordnet, kann also durch Parteienvereinbarung nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Sie gilt allerdings nicht gegenüber Verbrauchern oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§1170b Abs 3 ABGB).
Der Werkunternehmer kann bei Nichterfüllung seines Sicherstellungsverlangens durch den Werkbesteller diesen zwar nicht auf Beibringung der verlangten Sicherheit klagen, jedoch die (weitere) Leistungserbringung verweigern und unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Aufhebung des Bauvertrages erklären. Damit er-lischt der Anspruch des Werkbestellers auf Vertragserfüllung; er kann dann weder die Behebung von allfälligen Mängeln verlangen noch den ausständigen Werklohn wegen nicht gehöriger Vertragserfüllung zurückbehalten!

Gilt all dies auch dann, wenn der Werkunternehmer eine viel zu hohe Sicherstellung verlangt?
Was ist rechtens, wenn das vom Werkunternehmer begehrte Sicherungsmittel nicht den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien entspricht?
Kann in diesen Fällen der Werkbesteller einwenden, der Werkunternehmer habe sein Recht auf Sicherstellung missbräuchlich ausgeübt?
Kann bei derartiger Konstellation der Werkbesteller, der dem überhöhten Sicherstellungsverlangen nicht nachkommt, die vom Werkunternehmer in weiterer Folge ausgesprochene Aufhebung des Werkvertrages als unwirksam zurückweisen, weiterhin auf Mängelbehebung bestehen und wegen ebendieser Mängel den für die bisher erbrachten Leistungen ausständigen Werklohn zurückbehalten?

Mit all diesen Fragen hatte sich das Höchstgericht in der gegenständlichen, ungewöhnlich umfangreichen 26-seitigen Entscheidung auseinanderzusetzen.
Es kam dabei zu folgenden Ergebnissen:

1.
Wenn der vom Werkunternehmer geforderte Sicherstellungsbetrag im Hinblick auf den noch ausstehenden Werklohn überhöht ist, führt dies nicht zur Unbeachtlichkeit des Sicherstellungsbegehrens, sondern hat nur dessen Reduktion auf den noch zulässigen Inhalt zur Folge (so auch schon 4 Ob 209/18s). Dies soll dann gelten, wenn der Werkbesteller die richtige Höhe der Sicherstellung selbst ohne Weiteres erkennen kann. Ein deutlich überhöhtes Sicherstellungsbegehren des Werkunternehmers ist (nur) dann unbeachtlich, wenn der Werkbesteller den angemessenen Sicherungsbetrag nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermitteln kann (Erwägungsgrund 5.3.).
Im gegenständlichen Fall hatte der Werkunternehmer eine Bankgarantie über EUR 1.164.000,000 (20% der gesamten Auftragssumme) verlangt, obwohl bei Erhebung der Sicherstellungsforderung nur ein Werklohn von EUR 365.467,02 unberichtigt aushaftete, der in weiterer Folge wegen Teilzahlungen des Werkbestellers sogar noch auf EUR 150.000,00 reduziert wurde. Da die richtige Höhe des Sicherstellungsbetrages für den Werkbesteller leicht feststellbar war und dieser keine Anstalten machte, dem Werkunternehmer eine (entsprechend reduzierte) Sicherstellung anzubieten, wurde das Sicherstellungsverlangen als beachtlich qualifiziert. Der Werkbesteller hätte also eine Sicherstellung in Höhe des noch ausstehenden Werklohnes beibringen müssen, um die Aufhebung des Werkvertrages und den damit verbundenen Verlust seiner Gewährleistungsansprüche abzuwenden

2.
Wenn der Werkunternehmer ein ihm inhaltlich nicht zustehendes Sicherungsmittel verlangt, so ist genauso wie bei einem überhöhten Sicherstellungsbegehren vorzugehen. Der Werkbesteller kann sich auch in diesem Fall nicht auf die Unwirksamkeit des Sicherstellungsverlangens berufen, sondern hat eine auf den zulässigen Inhalt reduzierte Sicherstellung beizubringen.
Im gegenständlichen Fall hatte der Werkunternehmer eine zeitlich unbefristete Bankgarantie verlangt. Da der Werkbesteller untätig blieb und keine (angemessen) befristete oder an eine sachlich begründete Bedingung geknüpfte Bankgarantie beibrachte, erlitt er auch mit dieser Einwendung Schiffbruch.

3.
Nach der jüngeren Rechtsprechung liegt Rechtsmissbrauch nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den mit der Rechtsausübung verfolgten Interessen und den dadurch beeinträchtigten Interessen ein ganz krasses Missverhältnis besteht oder das mit der Rechtsausübung verbundene unlautere Motiv die lauteren Motive eindeutig überwiegt (Erwägungsgrund 7.1.).
Auch auf dieser Einwendungsebene konnte der Werkbesteller nicht reüssieren.
Der OGH verwies u.a. darauf, dass die Sicherstellungspflicht des Werkbestellers von dessen konkreter Bonitätssituation unabhängig ist und § 1170b ABGB den Werkunternehmer auch vor Zahlungsunwilligkeit des Werkbestellers schützen soll (Rz 41 in Erwägungsgrund 7.5.). Die Inanspruchnahme eines dem Werkunternehmer vom Ge-setzgeber (zwingend) eröffneten Rechtsbehelfs sei nicht als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren (so auch schon 4 Ob 209/18s).

4.
In der wissenschaftlichen Literatur, aber noch viel mehr in der Praxis wird von Auftraggeberseite das Sicherstellungsverlangen nach § 1170b ABGB zunehmend als Schlupfloch identifiziert, welches von Bauunternehmer dazu missbraucht werden kann, sich bei Nichterfüllung des Sicherstellungsverlangens durch Vertragsaufhebung den Gewährleistungsansprüchen des Werkbestellers unter gleichzeitiger Einforderung eines eingeschränkten Werklohnes zu entziehen.
Dem wird entgegengehalten, dass es nicht per se rechtsmissbräuchlich sei, wenn Werkunternehmer das Sicherstellungsbegehren in der Hoffnung einsetzen, sich von ihren vertraglichen Leistungspflichten zu befreien, handelt es sich dabei doch um eine gesetzliche Rechtsfolge, die der Werkbesteller durch rechtzeitige Sicherheitenbestellung ohnehin abwehren kann (so etwa Schopper, ZVB 2020, 315f).
Das Höchstgericht musste sich im gegenständlichen Fall mit dieser Problematik nicht näher auseinandersetzen, da der Werkunternehmer sich bereit erklärt hatte, die gerügten Mängel zu verbessern. Was daher gilt, wenn feststeht, dass der Werkunternehmer das Sicherstellungsverlangen nur deshalb stellt, um sich – bei Nichterfüllung seines Begehrens – lästigen Gewährleistungspflichten zu entziehen und die Fälligkeit des restlichen Werklohnes herbeizuführen, konnte das Höchstgericht daher offenlassen.
Eine spannende Frage, deren Beantwortung mit Sicherheit eine wertende Abwägung der widerstreitenden Interessen der Werkvertragsparteien erfordert.

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