Gewerberecht für Betriebsanlagen - Verfassungsrecht

Betriebsanlagenrecht – Verfassungsgerichtshof kippt vereinfachtes Genehmigungsverfahren für Spezialgenehmigungen gemäß §356e GewO 1994

Bei Betriebsanlagen wie z.B. bei Einkaufszentren, aber auch bei Gewerbe- oder Industrieparks, die verschiedenen Gewerbebetrieben dienen, wird oft eine Generalgenehmigung für die gemeinsam genutzten Anlagenteile (z.B. Rolltreppen, Aufzüge oder Lüftungseinrichtungen, Brandmeldeeinrichtungen, Sprinkleranlage, etc.) beantragt und von der Gewerbebehörde unter bestimmten Auflagen erteilt. Einer derartigen Generalgenehmigung geht ein ordentliches Betriebsanlagengenehmigungsverfahren unter Beteiligung der Nachbarn als Verfahrensparteien voraus.

Daneben bedarf die Anlage jedes in der Gesamtanlage etablierten Gewerbebetriebes, sofern diese geeignet ist, die Schutzinteressen der Nachbarn (z.B. wegen Lärm-, Geruchs-, Rauch- oder Staubentwicklung) zu berühren, einer gesonderten Spezialgenehmigung (§356e GewO 1994). Während die Generalgenehmigung für die Gesamtanlage in einem ordentlichen Verfahren unter Beteiligung der Nachbarn zustande kommt, sieht die Gewerbeordnung für die Erteilung einer Spezialgenehmigung ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren mit erheblich eingeschränkter Parteistellung der Nachbarn vor. Diese können in diesem vereinfachten Verfahren lediglich einwenden, dass die Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten Verfahrens nicht vorliegen.Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mit Erkenntnis vom 29. Juni 2023, G166/2023 dieses verfahrensrechtliche Privileg für Antragsteller auf Erteilung einer Spezialgenehmigung als verfassungswidrig aufgehoben. Im Anlassfall ging es um die Erteilung einer gewerbebehördlichen Spezialgenehmigung zur Ausübung der Gewerbe „Gastgewerbe in der Betriebsart einer Bar“, „Diskothek“ und „Einzelhandel“ für eine in einer mit Generalgenehmigung genehmigten Gesamtanlage gelegene Betriebsanlage.

Der VfGH betont in seiner Entscheidung, dass sich seine Bedenken nicht gegen das vereinfachte Genehmigungsverfahren oder dessen verfahrensrechtliche Ausgestaltung (mit eingeschränkter Parteistellung der Nachbarn) richtet, sondern einzig gegen den Umstand, dass der Gesetzgeber das Verfahren auf Erteilung einer Spezialgenehmigung schlechthin und damit ausnahmslos als vereinfachtes Genehmigungsverfahren einordnete. Das Höchstgericht weist darauf hin, dass der bloße Umstand, dass eine Betriebsanlage in einer mit Generalgenehmigung genehmigten Gesamtanlage etabliert ist, überhaupt nichts darüber aussagt, ob die von dieser Betriebsanlage ausgehenden Emissionen als typischerweise geringfügig und damit genehmigungsfähig und sohin verfahrensrechtlich privilegierbar sind.

Weder die Bundesregierung noch der Magistrat der Stadt Wien, die im Rahmen des Gesetzesprüfungsverfahrens Argumente für die Verfassungskonformität der verfahrensrechtlichen Privilegierung von Spezialgenehmigungen vorbrachten, konnten den VfGH überzeugen. Das Höchstgericht verweist vielmehr darauf, dass die Einholung einer Spezialgenehmigung meist gerade deshalb erfolgt, da die in der Gesamtanlage etablierte Anlage eines Gewerbebetriebes wegen ihrer zusätzlichen Emissionen für sich betrachtet geeignet ist, Schutzinteressen der Nachbarn zu berühren, die von der Generalgenehmigung gerade nicht gedeckt sind.Der VfGH hat daher §359b Abs 1 Z 4 GewO 1994, worin das Verfahren auf Erteilung einer Spezialgenehmigung dem vereinfachten Genehmigungsverfahren unterworfen wird, wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat gleichzeitig angeordnet, dass die Aufhebung (erst) mit Ablauf des 30. Juni 2024 in Kraft tritt.

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