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Erbrechtliche Aufgriffsrechte

18.11.2020 | Mag. Isabell Vollnhofer, BSc

Durch die Entscheidung des OGH zu 2 Ob 59/19v vom 29.06.2020, die ein von einer 1974 verstorbenen Erblasserin verfügtes Aufgriffsrecht thematisiert, gerieten erbrechtliche Aufgriffsrechte wieder verstärkt in den Blick.

Derartige Aufgriffsrechte, die gesetzlich nicht geregelt sind, dienen insbesondere dem Erhalt von konkreten Vermögenswerten im Familienbesitz. Der Erblasser räumt dabei einem Begünstigen (fortan: Aufgriffsberechtigten) das Recht ein, den Nachlass oder Teile desselben gegen Zahlung eines (im Zweifel angemessenen) Übernahmspreises zu erwerben. Die Vorzugsstellung des Aufgriffsberechtigten, der ein Erbe oder ein Dritter sein kann, resultiert dabei entweder aus einer letztwilligen Verfügung oder aber einem Vertrag, wobei die nähere Ausgestaltung dem Erblasser obliegt.

Macht der Aufgriffsberechtigte das ihm eingeräumte Recht geltend, so hat er zunächst einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Verlassenschaft, nach der Einantwortung gegen die Erben. Ist der Aufgriffsberechtigte selbst einer der Erben, so wird das Aufgriffsrecht als Teilungsanordnung angesehen, ansonsten als Vermächtnis.

In der konkreten OGH-Entscheidung verfügte die in den Niederlanden lebende Verstorbene, dass ihre Liegenschaften in Österreich verkauft werden können, wenn sich darüber alle Erben einig sind, ansonsten dem Sohn gegen Zahlung eines Betrages von 450.000 Gulden an die Verlassenschaft der Grundbesitz vermacht werde. Sollte er das Vermächtnis nicht antreten wollen oder können, so komme zunächst ihrer ersten Tochter, nachfolgend ihrer zweiten Tochter ein Aufgriffsrecht zu. Verbunden wurde dieses Recht mit der Belastung, die Liegenschaften bei späterer beabsichtigter Veräußerung zuerst den anderen Kindern der Verstorbenen in der Reihenfolge ihres Alters anbieten zu müssen, und zwar zum Preis von 450.000 Gulden zzgl. der bis dahin entstandenen Kosten für Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten sowie Versicherungen.

Aufgrund der vorliegenden Ähnlichkeit zum Vorkaufsrecht wurden die soeben beschriebenen Aufgriffsrechte der Töchter nicht als Anmerkung (§ 20 lit a GBG), sondern als Vorkaufsrecht (§ 9 GBG) im Grundbuch einverleibt. Zwischen den Parteien änderte dieser Irrtum jedoch nichts an der Verpflichtung des Sohnes, bei Verkaufsabsicht die Liegenschaften zunächst seinen Schwestern anbieten zu müssen.

Der OGH hatte sich weiters mit verjährungsrechtlichen Fragen des bereits 1974 entstandenen Aufgriffsrechts zu beschäftigen, auf die an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. Vielmehr soll der durchwegs bedeutende Unterschied zum Vorkaufsrecht beleuchtet werden:

Bei einem Vorkaufsrecht hat der Verpflichtete den Berechtigten zu verständigen, wenn er die mit dem Vorkaufsrecht belastete Sache veräußern will und entweder schon einen (bedingten) Kaufvertrag abgeschlossen hat oder ihm ein bindendes Angebot vorliegt. Der Vorkaufsberechtigte hat sodann die Möglichkeit, die Sache einzulösen und statt dem vorgesehenen Käufer die Sache unter den gleichen Bedingungen zu erwerben.

Das Aufgriffsrecht geht darüber hinaus, unter anderem weil es nicht auf einen bestimmten Kaufvertrag oder ein bestimmtes bindendes Angebot eines Dritten abstellt. Stattdessen ist dem Aufgriffsberechtigten ein Kaufvertrag, wie ihn der Erblasser skizziert hat, anzubieten, wobei der Aufgriffsfall durch den Erblasser flexibel gestaltet sein kann.

Aufgrund zahlreicher möglicher Fallstricke beim gesetzlich nicht geregelten Aufgriffsrecht ist, sofern man ein solches als Instrument der Vermögensplanung verwenden will, eine rechtsanwaltliche Beratung empfehlenswert.

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