Die Nutzwertfeststellung – Das unbeherrschbare Wesen? OGH vom 19.7.2023, 5 Ob 233/22h

Die Nutzwertfeststellung – Das unbeherrschbare Wesen? OGH vom 19.7.2023, 5 Ob 233/22h

Laufend werden wir zu Problemen im Zusammenhang mit der Begründung von Wohnungseigentum konsultiert. Das Wechselspiel von wohnungseigentumsrechtlicher Widmung durch die Miteigentümer, Nutzwert und dessen Feststellung sowie Mindestanteil bzw. Mindestmiteigentumsanteil ist jedenfalls für fachliche Laien schwer durchschaubar.

Ein typisches Problem zeigt nun die rezente Entscheidung des OGH vom 19. 7.2023, 5 Ob 233/22h, auf:

In einer Wohnungseigentumsanlage wurden einige über Eigentumswohnungen gelegenen Dachbodenlagerräume zu bewohnbaren Räumen umgebaut. Dieser baulichen Umbauten erfolgten somit nach der Begründung von Wohnungseigentum, sodass die ursprüngliche Nutzwertfeststellung im Nachhinein unrichtig wurde.

Eine Wohnungseigentümerin begehrte nun eine gerichtliche Neufestsetzung der Nutzwerte. Wirtschaftlich ist die Neufestsetzung bedeutsam, etwa weil idR mit einem größeren Anteil an der Betriebskostenbelastung für jene Wohnungseigentümer zu rechnen ist, deren Nutzwerte sich erhöhen.

  • 9 Abs 2 Z 4 WEG sieht daher die Möglichkeit einer gerichtlichen Neufestsetzung vor, wenn eine Änderung der Nutzwerte aus nachträglichen baulichen Vorgängen resultiert. Allerdings: Wegen § 10 Abs 2 WEG ist eine Antragstellung nur innerhalb eines Jahres nach Beendigung des baulichen Vorganges zulässig. Im konkreten Fall lagen die baulichen Vorgänge geraume Zeit zurück, sodass die Jahresfrist abgelaufen war.

Fraglich war aber, ob die Jahresfrist erst mit Rechtskraft einer entsprechenden Baubewilligung für den baulichen Vorgang zu laufen beginnt, weil andernfalls ein konsenswidriger Zustand Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Aktes (= gerichtliche Festsetzung der Nutzwerte) wäre (so etwa Hausmann in Hausmann/Vonkilch, WEG4 §10 WEG Rz 24).

  • Der OGH stellte jedoch aufgrund einer historischen Auslegung für den Beginn der Jahresfrist nach § 10 Abs 2 WEG alleine auf die tatsächliche Vollendung der Bauführung ab; das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen notwendigen Baubewilligung baulicher Veränderungen ist somit für die Frage der Nutzwertfestsetzung nicht relevant.
  • Eine gerichtliche Neufestsetzung der Nutzwerte ist aber auch möglich, wenn die Liegenschaft von den Mit- und Wohnungseigentümern einvernehmlich so verändert wurde, dass die Nutzwertfestsetzung nicht mehr den zwingenden Berechnungsgrundsätzen entspricht (vgl schon OGH RS 0083159 [T4]). Ein solcher Antrag auf eine gerichtliche Nutzwertberichtigung wäre dann nicht mehr fristgebunden.

Die Rechtsprechung qualifizierte z.B. die fehlerhafte Zuordnung von Gebäudebereichen in eine der wohnungseigentumsrechtlichen Kategorien (etwa als Zubehör anstatt Bestandteil des Wohnungseigentumsobjekt) und die Zuweisung eines Nutzwerts für allgemeine Teile der Liegenschaft als solche Verstöße.

Ob ein Verstoß gegen die zwingenden Berechnungsgrundsätze vorliegt, hängt damit von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Im Ergebnis muss die Rechtssache mangels ausreichend festgestellten Sachverhalts für die Beurteilung diese Frage zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung in die erste Instanz zurückverwiesen werden.

Praxishinweis:

Für eine Nutzwertberechnung ist die einvernehmliche Widmung durch die Wohnungseigentümer entscheidend. Bloß faktische (bauliche) Veränderungen durch (einzelne) Wohnungseigentümer rechtfertigen eine neue Nutzwertfestsetzung nicht, sodass etwa im konkreten Fall nachgewiesen werden müsste, dass die Liegenschaft von den Mit- und Wohnungseigentümern einvernehmlich verändert wurde (s OGH 5 Ob 233/22h Rn 25, 29f).

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