Immobilienrecht

Obligatorisches Wohnrecht: Kenntnis des Liegenschaftserwerbers führt nicht zwingend zur Bindung – OGH vom 28.9.2022, 7 Ob 104/22b

Die Dienstbarkeit des Wohnrechts ist an sich ein dingliches Recht. Dieses wirkt gegen jede Person und wird durch Einverleibung im Grundbuch begründet.
Das Wohnrecht kann aber auch (bloß) obligatorisch eingeräumt werden und wirkt dann nur zwischen den Vertragsparteien. Dann ist der/die Wohnberechtigte im Verkaufsfall darauf angewiesen, dass das obligatorische Schuldverhältnis von Käuferseite vertraglich übernommen wird (Vertragsübernahme). Dabei ist zu beachten, dass ein (bloß) obligatorisches Wohnrecht nicht schon dann gegenüber dem Ein-zelrechtsnachfolger (Käufer) im Liegenschaftseigentum wirksam ist, wenn er von diesem Recht wusste; es bedarf vielmehr des Eintrittes in diese Vertragsbeziehung im Wege der Vertragsübernahme durch den Liegenschaftserwerber (RS 0011871 [insb. T8, T9]; RS 0011649 [T1]; RS 0011673 [T5]).
Die bloße Kenntnis des obligatorischen Wohnrechts im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs hat also keine zwingende Bindung des Liegenschaftserwerbers zur Folge.

Im vorliegenden Fall befand sich auf der Liegenschaft ein Wohnhaus, wobei im Erdgeschoss die Eltern der Klägerin, die Klägerin mit ihrer Familie im ersten Stock und deren Bruder im Dachgeschoss des Wohnhauses wohnten. Die Liegenschaft wurde der Klägerin von ihrer Mutter (ursprünglich Alleineigen-tümerin) durch Übergabevertrag übereignet. Dies unter Einräumung eines unentgeltlichen Wohnungs-gebrauchsrechtes an die Eltern hinsichtlich der Räumlichkeiten im Parterre des Wohnhauses. Im Zuge der Vertragsausarbeitung durch einen Notar erklärte die Klägerin ausdrücklich, dass sie das Wohnrecht ihres Bruders an den Dachgeschossräumlichkeiten nicht übernehme. Ein Wohnrecht des Bruders fand daher auch keine Aufnahme in den Übergabevertrag. Die Eltern der Klägerin sicherten dessen ungeach-tet dem Bruder der Klägerin zu, dass er bis zu ihrem Ableben im Haus wohnen bleiben könne, auch wenn das „so nicht im Vertrag“ enthalten sei.

Es kam, wie es kommen musste:
Der Bruder der Klägerin verblieb nach der Vertragsunterfertigung weiterhin in der Dachgeschosswoh-nung, was die Klägerin zunächst nicht beanstandete. Als sie allerdings einige Monate danach im Zuge einer beabsichtigten Dachsanierung ihren Bruder aufforderte, die Wohnung zu räumen, weigerte sich dieser auszuziehen.
Die Klägerin ging mit Räumungsklage gegen ihren Bruder vor und war damit zunächst beim Erstgericht erfolgreich, erlebte dann aber beim Berufungsgericht eine Überraschung. Dieses argumentierte dahin-gehend, dass die Einräumung eines Wohnrechtes (auch) für den Bruder der Klägerin für die im selben Haus wohnhafte Klägerin jedenfalls offenkundig gewesen und von dieser als Einzelrechtsnachfolgerin ihrer Mutter – zumindest schlüssig – übernommen worden sei.
Es bedurfte daher der Erhebung einer Revision an das Höchstgericht, um diese unrichtige Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zu korrigieren. Der OGH bekräftigte, dass die (vom Berufungsgericht noch zu Gunsten des Bruders der Klägerin herangezogene) Passage im Übergabevertrag, wonach die Klägerin die Liegenschaft mit allen Rechten und Verpflichtungen übernehme, nur dahingehend verstanden wer-den kann, dass nach der Parteienabsicht die – von der Klägerin ja ausdrücklich ausgeschlossene – Über-nahme des Wohnrechts des Bruders der Klägerin gerade nicht vereinbart wurde.

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