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OGH hegt anlässlich des Immofinanz-Strafverfahrens verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in Wirtschaftsstrafsachen relevanten Gesetzesbestimmungen zu den Sachverständigen und stellt den Antrag auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO an den Verfassungsgerichtshof

6.10.2014 | Mag. Wilhelm Milchrahm

Der OGH hegte schon in seiner Strafentscheidung vom 1. 8. 2014, 17 Os 25/14a, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die verfahrensrechtlichen Regelungen über den Sachverständigenbeweis im Strafverfahren. In dieser Entscheidung, in welcher es um Missbrauch der Amtsgewalt durch einen Arzt ging, kam es aber wegen eines Freispruchs zu keiner Normanfechtung des OGH an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Eine Normanfechtung erfolgte aber nun aus Anlass des Immofinanz-Strafverfahrens (OGH 16.9.2014, 11 Os 26/14d).

Sowohl in Zivil- als auch in Strafverfahren sind Gutachten von Sachverständigen oft (streit-)entscheidend.Die Bedeutung des Sachverständigen lässt sich anhand eines Beispiels illustrieren: Das Gericht hat zu beurteilen, ob der Kaufpreis eines Kunstwerkes angemessen war. Da dem Gericht in aller Regel die Fachkenntnis über den Kunstmarkt fehlt, bedarf es eines Sachverständigen, der dieser Frage nachgeht.

In einem Zivilverfahren obläge nun Auswahl und Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen ausschließlich dem Gericht im eigenen Ermessen (§§ 351, 352 ZPO). Auch der Gutachtensauftrag wird vom Gericht festgelegt. Die Streitparteien können somit selbst keinen gerichtlichen Sachverständigen bestellen, wodurch schon die bloße Gefahr gebannt wird, dass ein gerichtlicher Sachverständiger sich nur einer Partei verpflichtet fühlen könnte. Diese verfahrensrechtliche Konstruktion schützt daher sowohl die Interessen der Streitparteien als auch den gerichtlichen Sachverständigen, der sich keinem Anschein der Parteilichkeit wegen seiner Bestellung durch eine Streitpartei aussetzen muss. Damit ist diese verfahrensrechtliche Regelung Ausdruck einer sachgerechten prozessualen Waffengleichheit beider Streitparteien im Zivilprozess.

Dieselbe Frage – Angemessenheit des Kaufpreises eines Kunstwerkes – kann aber auch für ein Strafverfahren entscheidungsmaßgeblich sein. Hätte etwa der Geschäftsführer eines Unternehmens das Kunstwerk zu einem unangemessen hohen Kaufpreis erworben, entstünde dem Unternehmen ein Schaden in der Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich bezahlten Kaufpreis und dem angemessenen Kaufpreis. Damit könnte bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen das Strafdelikt der Untreue (§ 153 StGB) mit einer Strafandrohung bis zu 10 Jahren Haft verwirklicht sein.

Doch auch im Strafverfahren fehlt dem Gericht oftmals die eigene Fachkenntnis, um die Angemessenheit beurteilen zu können, sodass ein Sachverständiger die angemessene Höhe des Kaufpreises begutachten muss. Während aber im Zivilverfahren ausschließlich das Zivilgericht den Sachverständigen auswählt und bestellt, kann schon der Staatsanwalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren den Sachverständigen bestellen und auch den Gutachtensauftrag alleine festlegen (vgl § 126 Abs 4 StPO). Zwar ist der Staatsanwalt grundsätzlich zur Objektivität verpflichtet, doch wird der Staatsanwalt in weiterer Folge bei der Strafverhandlung vor dem Strafgericht (sog. „Hauptverhandlung“) Verfahrensbeteiligter und nimmt nach den Ausführungen des OGH strukturell die Gegenposition des Angeklagten ein.

Auch das Strafgericht bestellt dann in der Hauptverhandlung – wie das Zivilgericht – ebenfalls den Sachverständigen, doch ist das Strafgericht – ganz im Gegensatz zum Zivilgericht – in der Auswahl soweit beschränkt, dass es nach den sinngemäßen Ausführungen des OGH im Ergebnis auf die (zwingende) Übernahme des schon vom Staatsanwalt bestellten Sachverständigen hinausläuft (vgl §§ 126 Abs 3, 126 Abs 2c, 126 Abs 4 letzter Satz StPO).

Der von Strafgericht übernommene Sachverständige nimmt de facto sogar eine Rolle nach Art eines „Zeugen der Anklage“ ein, soweit sich die Anklage des Staatsanwalts auf das Gutachten des vom ihm selbst bestellten Sachverständigen stützt.

Dem Angeklagten ist es wiederum kaum möglich, sich gegen den Sachverständigen zu wehren, vor allem kann er in der Hauptverhandlung keinen weiteren Sachverständigen beantragen (vgl § 127 Abs 3 StPO). Er kann auch kein Privatgutachten dem Strafgericht vorlegen, das vom Strafgericht berücksichtigt werden muss. Verschärfend kommt hinzu, dass der Staatsanwalt vor der Hauptverhandlung den Sachverständigen jederzeit ohne nähere Begründung mit Ermittlungen beauftragen darf, während dem späteren Angeklagten die Beantragung von Ermittlungen durch den Sachverständigen selbst nicht in diesem Umfang möglich ist.

Der OGH erkannte zutreffend aus Anlass des Immofinanz-Strafverfahrens im Anschluss an das Schrifttum (vgl Ratz, Der Oberste Gerichtshof in Österreich als Grundrechtsgericht, Anwaltsblatt 2013, 247 ff [277]) in diesen Umständen ein verfassungswidriges, strukturelles Ungleichgewicht zwischen Ankläger und Angeklagte, das gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Waffengleichheit verstößt (vgl Art 6 Abs 1, Art 6 Abs 4 lit d MRK). Mit Beschluss vom 16.9.2014 stellte der OGH folgerichtig im sogenannten Immofinanz-Strafverfahren an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit einzelner Wortfolgen bzw. Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO).

Auch der Gesetzgeber hat auf die schon im Schrifttum geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken durch eine Novellierung aus Anlass des Strafrechtsänderungsgesetzes 2014 (BGBl I 71/2014) reagiert. Nach den Gesetzesmaterialien EBRV 181 BlgNR 25. GP 15f) soll durch die Novelle das bestehende System dadurch verbessert werden, dass dem Beschuldigten das Recht zustehen soll, nicht nur Einwände gegen die Person des gewählten Sachverständigen vorzubringen, sondern auch die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu beantragen; die Staatsanwaltschaft soll zu begründen haben, warum sie dem Antrag nicht folgt. In der Verteidigungsschrift eines Angeklagten soll ausdrücklich auf Befunde von Privatgutachten Bezug genommen und diese damit zum Akteninhalt gemacht werden können; außerdem soll der von der Verteidigung beauftragten Person mit besonderem Fachwissen auch das Fragerecht zukommen, wodurch ein weiteres Objektivierungselement hinzutritt und die Verteidigungsrechte gestärkt werden.

Ansprechpartner: Mag. Wilhelm Milchrahm (am Verfahren mitbeteiligt).

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